Unermüdlich führen einige Akteure aus Wirtschaft und Politik technologische und ökonomische Sachzwänge ins Feld, nach denen zügige Veränderungen in Richtung einer klimaverträglichen und zugleich sicheren Energieversorgung unmöglich seien. Regenerative Energien könnten ökonomisch nicht mit fossilen Energien oder Kernenergie mithalten, heisst es. Oder auch: Regenerative Energien seien schlicht nicht finanzierbar.
Werden wir tatsächlich in Zukunft auf Wohlstand und hohen Lebensstandard verzichten müssen, weil wir die Erzeugung alternativer Energien zu teuer subventionieren? Fragen wir dazu doch einmal als eine Art Kronzeuge die internationale Finanzwirtschaft: Mit einiger Überraschung angesichts obiger Aussagen stellen wir fest, dass erneuerbare Energien heute fossile Energien im Hinblick auf Investitionsvolumen weit in den Schatten stellen. Nahezu 78 Prozent der NettoZuwächse an Erzeugungskapazität für Energie weltweit gingen im Jahr 2019 in Wind-, Sonne-, Biomasse-, Geothermie- und Wasserkraftwerke. Was die Investitionen angeht, so haben die Frankfurt School of Finance & Management und die Finanzagentur Bloomberg einmal nachgerechnet: 2019 wurden weltweit nahezu 300 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert (zum Vergleich: Der Wert aller Dax-Unternehmen zusammen betrug Ende Juli 2020 knapp 1 200 Milliarden Euro).
Der Löwenanteil dieser Summe wurde vor allem in die Finanzierung grösserer PVAnlagen und Onshore-Windkrafträder gesteckt. Investoren waren hier vor allem die Energieunternehmen, die auf alternative Energien umstellen, um zukunftsfähig zu bleiben. Aus demselben Grund setzen auch verschiedene Staaten – allen voran China – auf solche Grossprojekte. Finanziert werden diese Investitionen oft von Anlegern auf den globalen Kapitalmärkten, zum Beispiel in Form von Anleihen. Auch staatliche Investitionseinrichtungen treten als Investoren in Erscheinung: In Deutschland ist das zum Beispiel die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit ihrem Programm «Erneuerbare Energien». Etwa 50 Milliarden Dollar wurden weltweit für kleinskalige PV-Anlagen ausgegeben. Akteure waren hier grösstenteils private Hausbesitzer, die sich ein paar Paneele aufs Dach bauen liessen. Aber auch die renditehungrigsten Anleger setzen mittlerweile auf regenerative Energien. Gerade Private-Equity-Investoren haben vor einigen Jahren Wind- und Solarparks als attraktive Renditetreiber entdeckt und legten in den letzten zehn bis 15 Jahren bis zehn Milliarden Dollar pro Jahr in «Green Energy» an. Vielleicht spielen bei dem einen oder anderen privaten Anleger auch idealistische Beweggründe eine Rolle, doch internationalen Anlagegesellschaften liegt es fern, ihr Geld nach solchen Prinzipien anzulegen. Sie sind ihren Klienten verpflichtet und müssen Renditen liefern.
«Green Energy» im Trend
Diese Investment-Initiative geht nicht nur von den grossen angelsächsischen Anlagehäusern aus. Auch grosse Pensionskassen haben «green energy» als Anlageklasse entdeckt und reduzieren gleichzeitig ihre Investitionen in «black energy», also Kohle und Öl. So kaufte sich 2019 eine Gruppe skandinavischer Pensionsfonds mit insgesamt 700 Millionen Dollar in einen neuen Infrastrukturfonds für erneuerbare Energien ein, der hauptsächlich auf Asien und Lateinamerika abzielt. Und die mit über 500 Milliarden Euro grösste Pensionskasse Europas, die holländische AGP, hat nach eigenen Angaben bereits fast fünf Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert. Das ist rechnerisch zwar nur ein Prozent des anzulegenden Geldes der Pensionskasse, doch für ein Engagement in einen einzelnen Anlagebereich ist das ein sehr grosses Kontingent.
Aktuell sind der chinesische Staat sowie chinesische Firmen die grössten Investoren in erneuerbare Energien, zugleich ist die chinesische Wirtschaft Weltmarktführer bei der Herstellung von Windkraftanlagen, Solarzellen und Smart-Grid-Technologien. In China stehen auch die meisten PV-Anlagen, nirgendwo sonst auf der Welt wird so viel Solarstrom produziert. Hier gehen Politik und Wirtschaft – wenn auch autoritär durch die kommunistische Partei gesteuert – Hand in Hand.
Der Markt hat gesprochen
Bisher haben sich diese Investitionen gut ausgezahlt: Eine im Juni 2020 veröffentlichte Studie des Imperial College London und der Internationalen Energieagentur analysierte Börsendaten der letzten fünf und zehn Jahre in Deutschland, Frankreich, England und in den USA. Das Ergebnis: Die Renditen der Investitionen in erneuerbare Energien waren in den letzten fünf Jahren beträchtlich. In Deutschland und Frankreich liess diese Geldanlage mit 178.2 Prozent Rendite die Investitionen in fossile Brennstoffe weit hinter sich. Letztere haben mit 20.7 Prozent sogar Geld verloren. Im Vereinigten Königreich lag das Verhältnis bei 75.4 Prozent zu 8.8 Prozent, in den USA bei 200.3 Prozent zu 97.2 Prozent.
Professionelle Investoren in aller Welt haben also das Potenzial erneuerbarer Energien als zunehmend attraktive Kapitalanlage erkannt. Für fossile Energien sieht es dagegen ganz anders aus: Während der bekennende Kohle-Fan Donald Trump versprach, die Kohleindustrie des Landes nach Kräften zu unterstützen, mussten allein in den beiden Jahren nach seiner Amtsübernahme 50 Kohlekraftwerke zur Stilllegung angekündigt werden. «Das Schicksal der Kohle ist besiegelt, der Markt hat gesprochen», sagt Michael Webber, ein Energieexperte an der Universität von Texas. «Der Trend ist jetzt unumkehrbar, der Niedergang der Kohle ist trotz der Rhetorik von Donald Trump nicht aufzuhalten.»
Investitionen sollen Gewinn abwerfen. Bei Subventionen wird dagegen keine direkte Gegenleistung erwartet. Sie sollen Institutionen, Unternehmen und Branchen stützen, die aus politischen Gründen nicht oder noch nicht marktfähig sind. Ohne ständigen Geldzuschuss müssten zum Beispiel viele Krankenhäuser und Kindergärten schliessen. Lange war die staatliche Unterstützung regenerativer Energien als Subventionierung – also als Geldzuschuss ohne Rendite – verschrien. Das ist längst vorbei. Regenerative Energien erweisen sich heute als wahre Renditetreiber. Dazu kommt, dass viele Investitionsanreize für Solarstrom nicht aus öffentlichen Mitteln kommen – es sich bei ihnen also nicht um Subventionen handelt, auch wenn sie als solche wahrgenommen werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zum Beispiel 2019 festgestellt, dass das deutsche Energie-Einspeisegesetz (EEG) keine staatliche Beihilfe darstellt. Denn die Gelder werden in Form von festgelegten Einspeisevergütungen von den Endverbrauchern bezahlt. Diese «Zwangsinvestitionen» werden nun nach und nach abgebaut.
Subventionen versus Investieren
Die erneuerbaren Energien sind zu einem Selbstläufer geworden. Es ist ein ganz anderer Teil der Energiewirtschaft, der bis heute im eigentlichen Sinne des Wortes subventioniert wird: die fossilen Energien! Das gängige Argument dafür lautete: Die «Energiesicherheit» muss aufrechterhalten werden. Der Subventionsbericht des EUParlaments von 2017 beziehungsweise 2019 hält fest, dass dieser Wirtschaftszweig vermutlich ähnlich viel, wahrscheinlich aber weit mehr öffentliche Gelder empfängt als derjenige der erneuerbaren Energien. In der EU fliessen je nach Schätzung zwischen 39 und 200 Milliarden Euro pro Jahr unter anderem in direkte Subventionen für die Kohle- und Gasindustrie, steuerbegünstigte Kraftstoffe, die Steuerfreiheit von Treibstoffen für Schiff- und Luftfahrt und für kostenlose Emissionslizenzen für Stahl- und Chemieindustrie. Die EU-Kommission schätzt die Subventionen für fossile Energien europaweit auf 55 Milliarden Euro. Schätzungen des Journalistennetzwerks «Investigate Europe» kommen dagegen auf den Wert von 137 Milliarden Euro für die EU plus die Schweiz, Norwegen und Island. Im Vergleich dazu liegen die Investitionen für erneuerbare Energien EU-weit gemäss Schätzungen der EU-Kommission bei ca. 75 Milliarden Euro pro Jahr, wobei ein Teil dieser Gelder wie beispielsweise die EEG-Umlage in Deutschland gar keine eigentlichen Subventionen darstellen, wie wir oben sahen. Weltweit ist das Bild klarer: Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur gingen im Jahr 2018 staatliche Subventionen in Höhe von ca. 400 Milliarden Dollar an Firmen rund um die fossile Energieerzeugung. Die Unterstützung für die Erzeugung erneuerbarer Energien lag bei weniger als der Hälfte dieser Summe: 166 Milliarden Dollar. Man kann sich ausmalen, was passiert, wenn bis 2025 die Subventionen für black energy gestrichen werden – genau dazu haben sich die G20Staaten bereits 2009 verpflichtet.
Eine Antwort auf die Frage nach dem Kostenvergleich zwischen fossilem, nuklearem und regenerativ erzeugtem Strom liefern die sogenannten Stromgestehungskosten, also die summierten Kosten für das eingesetzte Kapital (zum Beispiel für Grundstückskauf und Installation des Kraftwerks) und die Betriebskosten (Wartung, Reparatur, Versicherung). Die Strompreise jeder Branche variieren innerhalb eines bestimmten Rahmens, da die Kosten je nach Standort und weiteren Gegebenheiten der einzelnen Kraftwerke unterschiedlich sind.
Die Stromgestehungskosten der verschiedenen Energieträger einfach so einander gegenüberzustellen, ist allerdings ein wenig so, als würde man Äpfel und Birnen vergleichen. Für einen fairen Vergleich müssen weitere Faktoren mit einbezogen werden. Gerade die wichtigsten alternativen Energie quellen, Sonne und Wind, sind nicht grundlastfähig. Um ihren Anteil am Energiemix weiter aufzustocken, müssen Speicherkapazitäten entwickelt und ausgebaut werden. Bis diese in ausreichender Menge vorhanden sind, müssen wir Strom aus Wind und Sonne noch mit grundlastfähigem Strom kombinieren.
Ungewisse Kostenfaktoren
Es ist noch nicht genau bekannt, wie hoch die Kosten zur Bereitstellung dieser Speicherkapazität am Ende sein werden. Für den kleinskaligen Bereich weiss man, dass die Batteriepreise dramatisch sinken. Doch grössere Anlagen brauchen andere Speicherlösungen, zum Beispiel Pumpspeicher oder die Produktion von Wasserstoff oder auch Methanol. Aber auch hier schreitet die technologische Entwicklung schnell voran. Ebenso der Bau neuer Stromtrassen und weiterer Infrastruktur für die Nutzung erneuerbarer Energien muss eingepreist werden. Auch hier sind die Entwicklungen noch nicht abgeschlossen, und belastbare Aussagen zu tatsächlichen Strompreisen sind daher noch nicht möglich.
Aber auch bei den konventionellen Stromlieferanten sind nicht alle Kostenfaktoren eingepreist. Würde man zu den direkten Subventionen für fossile Brennstoffe auch die Kosten für nicht eingepreiste Externalitäten zählen (Umweltverschmutzung, Schadstoffemissionen, CO2-Emissionen et cetera), ständen unterm Strich gemäss der Internationalen Energieagentur (IAE) statt der oben genannten «mehr als 400 Milliarden» sogar 3 100 Milliarden Dollar. Die tatsächlichen Kosten für unseren Strom sind also weder für fossile Energieträger noch für alternative Energien bekannt. Eines jedoch ist sicher: Zur Klimaneutralität führt nur der Weg über die erneuerbaren Energien.