Das Jahr 2019 war ein überraschend gutes Anlagejahr. Viele Pensionskassen haben unerwartet hohe Anlagerenditen erzielt. Die erwerbstätigen spüren jedoch kaum etwas davon. Grund dafür sind die strukturellen Probleme der Pensionskassen. eine Reform der beruflichen Vorsorge ist zwingend und dringend.
Die Funktionsweise einer Pensionskasse ist im Prinzip einfach: Während der Erwerbstätigkeit zahlen die Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber Beiträge ein. Die Sparbeiträge werden als sogenannte Altersgutschriften dem individuellen Altersguthaben gutgeschrieben, das zudem verzinst wird. Die Risikobeiträge werden zur solidarischen Finanzierung von Todesfall- und Invaliditätsleistungen verwendet. Bei der Pensionierung wird das vorhandene Altersguthaben in eine lebenslängliche Altersrente (inkl. Anspruch
auf Hinterlassenenrenten) umgewandelt oder in Kapitalform ausbezahlt.
Massgebend für die Umwandlung des Altersguthabens in eine Altersrente ist der sogenannte Umwandlungssatz. Dieser beträgt im Rahmen der obligatorischen Vorsorge gemäss dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) 6.8 Prozent für einen 65-jährigen Mann beziehungsweise eine 64-jährige Frau. Dies bedeutet, dass ein Altersguthaben von 100’000 Franken auf
eine Altersrente von 6’800 Franken (also 6.8 Prozent von 100’000 Franken) pro Jahr führt. Der Satz von 6.8 Prozent ist anerkanntermassen deutlich zu hoch. Im Rahmen des BVG muss heutzutage das Altersguthaben für jeden Neurentner um mindestens einen Drittel aufgestockt werden. Pro 100’000 Franken Altersguthaben müssen somit mindestens 33’300 Franken zusätzlich bereitgestellt werden, um die Altersrente von 6’800 Franken zu finanzieren. Die Aufstockung des Altersguthabens wird aus den Kapitalerträgen finanziert. Dies reduziert die Verzinsung der Altersguthaben und damit die künftigen Altersrenten der Arbeitnehmenden. In der Fachsprache wird der zur Aufstockung des Altersguthabens erforderliche Betrag «Verrentungsverlust» genannt.
Senkung ist nötig
Pensionskassen, die höhere Sparbeiträge beziehungsweise Altersgutschriften als das BVG-Obligatorium vorsehen – sogenannte umhüllende Kassen –, können den Umwandlungssatz unter 6.8 Prozent senken, müssen aber in jedem Fall mindestens die Leistungen gemäss BVG gewährleisten. In der Praxis sind bei diesen Kassen vielfach Umwandlungssätze zwischen fünf und 5.5 Prozent anzutreffen, womit weniger hohe Verrentungsverluste anfallen.
Der BVG-Umwandlungssatz wurde im Jahr 1985 bei der Einführung des BVG auf 7.2 Prozent festgelegt. Im Rahmen der ersten BVGRevision wurde er zwischen 2006 und 2014 schrittweise auf 6.8 Prozent reduziert. Zwei Faktoren erfordern schon seit Langem eine wesentlich weiter gehende Senkung der Umwandlungssätze: zum einen die Zinsen, die
in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken sind, und zum anderen die Lebenserwartung, die seit jeher kontinuierlich gestiegen ist. Da vor allem der BVG-Umwandlungssatz, aber auch die von den umhüllenden Pensionskassen in der Praxis tatsächlich angewandten Umwandlungssätze zu spät und ungenügend angepasst wurden, treten systematisch Verrentungsverluste auf. Die sinkenden Zinsen haben zudem zur Folge, dass das Vorsorgekapital für die in früheren Jahren entstandenen Renten – sogenanntes Deckungskapital – verstärkt werden muss. In der Fachsprache wird dies als «Deckungskapitalverstärkung» bezeichnet.
Tiefere Berechnungen
Verrentungsverluste und Deckungskapitalverstärkungen reduzieren zwangsläufig die Verzinsung der Altersguthaben der Erwerbstätigen und schmälern deren künftige Renten. Sie führen zu einer massiven, systemfremden und unerwünschten Umverteilung in der beruflichen Vorsorge. Gemäss Berechnungen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge betrug diese beispielsweise rund 6.6 Milliarden Franken im Jahr 2017 und 5.1 Milliarden Franken im Jahr 2018. Für die Erwerbstätigen bedeutet dies konkret, dass die Verzinsung ihrer Altersguthaben selbst nach vorsichtigen Berechnungen um mindestens 0.5 Prozent pro Jahr tiefer ausfällt.
Die Reform der Altersvorsorge ist zwingend und dringend. Sie muss sich auf das Wesentliche konzentrieren: Senkung des BVG-Umwandlungssatzes, Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus im BVG und Kompensationsmassnamen für die Übergangsgeneration.