von Bora Altuncevahir, Mathias Beck und Dominic Kaufmann
IN FÜNF SCHRITTEN ZUM DIGITALEN ÖKOSYSTEM
Der folgende Beitrag thematisiert die Fragestellung, wie etablierte KMU digitale Ökosysteme entwickeln und implementieren können.
Die digitale Transformation gehört zu den aktuell wichtigsten Herausforderungen im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. In diesem Zusammenhang stellen die innovativen Angebote der plattformbasierten Wirtschaft, sogenannte digitalen Ökosysteme, die etablierten Geschäftsmodelle und Marktarchitekturen infrage und führen zu grundlegenden Veränderungen. Wie es etablierten KMU im B2B-Sektor gelingen kann, solche digitalen Ökosysteme zu entwickeln und zu implementieren, zeigt eine aktuelle Forschungsarbeit der FFHS. Für die Studie wurden elf Fachexperten aus Praxis und Wissenschaft mit ausgewiesener Erfahrung beim Aufbau von digitalen Ökosystemen befragt.
ZENTRALE VORAUSSETZUNGEN UND ERGEBNISSE
Aus der empirischen Untersuchung geht hervor, dass vor der Neuorientierung oder Erweiterung zu einem plattformbasierten Geschäftsmodell in erster Linie die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Zu den fünf wesentlichsten Voraussetzungen zählen der Aufbau der Fachkompetenzen, das notwendige und durchgängige Commitment der Geschäftsleitung, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, die Erlangung eines offenen Mindsets und die Affinität für digitale Technologien sowie die Bereitstellung von Liquidität für die hohen Investitionen. Zudem müssen bei der Geschäftsmodellentwicklung bereits zu Beginn die unterschiedlichen Anforderungen der Kundenbeziehung B2B oder B2C berücksichtigt werden. Damit die Geschäftsmodellentwicklung erfolgreich verläuft, benötigt es vor allem ein systematisches und iteratives Vorgehen, Kompetenzen, den Markt und die Kundenbedürfnisse zu erkennen, sowie ein Mindset, auch in andere Richtungen zu denken. Für die unterschiedlichen Kundenbeziehungen B2B oder B2C kann der gleiche Prozessablauf verwendet werden, jedoch bedarf es einer gesonderten Betrachtung bei der Definition der Zielgruppe, dem Vertriebskonzept und bei der Kundenintegration. Bei der Implementierung benötigt es die Kompetenz und Erfahrung, die Ressourcen – keine Ablenkung vom Tagesgeschäft! – das Commitment (Bereitschaft der Geschäftsleitung), die Governance (notwendige Offenheit) sowie die Organisation (agile Teams) als Voraussetzungen für den Erfolg. Ebenfalls müssen die unterschiedlichen Aspekte der Kundenbeziehung B2B oder B2C berücksichtigt werden. Die meistgenannten Erfolgsfaktoren bei der Implementierung sind der Einsatz einer Minimal Viable Platform (MVP) – einem Produkt mit minimalen Anforderungen und Eigenschaften, die Usability der Plattform, die richtigen Anreize, der Aufbau einer Partnerschaft und das Gewinnen von Pilotkunden, Kundenfokussierung und Feedbackschlaufen. Bei der Methodik wurde die Iteration mit den Partnern und Parallelisierung der Prozesse hervorgehoben. Aus der Analyse der Interviews leitet sich die nachfolgende Handlungsempfehlung zur Geschäftsmodellentwicklung und Implementierung von digitalen Ökosystemen für etablierte KMU im B2B-Bereich ab. Es geht um fünf strategische Schritte.
SCHRITT 1
Als erster Schritt müssen die Unternehmen beginnen, sich mit den Themen von digitalen Ökosystemen auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch die Entwicklung eines Mindsets mit hoher Lernbereitschaft und dem Denken in Lösungen. Parallel hierzu müssen neue Kompetenzen aufgebaut werden. Dazu zählen unter anderem das Wissen und die Fähigkeiten hinsichtlich der Technologien für die Digitalisierung (wie IoT, AI, Blockchain, und Datenmanagement). In vielen Fällen müssen auch die Produkte für die Digitalisierung vorbereitet werden, zum Beispiel mittels Sensorik oder direkt als digitale Zwillinge. Ebenfalls empfiehlt es sich, bereits in dieser Phase geeignete Partner zu suchen und sich (offen) auszutauschen. Besonders entscheidend für KMU ist die Bereitstellung von Ressourcen, hierzu zählt auch das Personal. Die Unternehmen müssen somit Freiräume schaffen, damit die Mitarbeiter sich voll und ganz diesen Themen widmen können. Der Aufbau von digitalen Ökosystemen ist eine teure und langwierige, zeitintensive Angelegenheit. Dies bedingt, dass die Unternehmen bereit sein müssen, hohe Investitionen (finanzielle Mittel wie auch Zeit) zu tätigen und die bestehenden Risiken zu tragen. All dies verlangt ein vollumfängliches Commitment der Eigentümer und der Geschäftsleitung. Ohne dieses Commitment wird ein KMU kaum in der Lage sein, ein digitales Ökosystem aufzubauen.
SCHRITT 2
Nach oder während der Vorbereitungen sollten sich die Unternehmen mit den strategischen Stossrichtungen befassen. Dazu bieten sich die drei Ansätze Production and Consumption Ecosystems (1), Product / Market-Strategy (2) und Build, Buy or Belong to a Platform (3) an (siehe Hinweise auf weiterführende Literatur). Die Ansätze können auch kombiniert werden. Die strategische Stossrichtung hat einen Einfluss auf sämtliche abgebildeten Vorgänge.
SCHRITT 3
Nach der Festlegung der strategischen Stossrichtung erfolgt die Modellierung von geeigneten Geschäftsmodellen. Je nachdem wie stark das Geschäftsmodell in einem ersten Schritt konkretisiert werden soll, besteht die Auswahl zwischen den Tools Ecosystem Participation Navigator (4) (leichte Konkretisierung, eher Ideengewinnung) oder Platform Innovation Kit (5) bzw. Platform Design Toolkit (6) (starke Konkretisierung). Für die Geschäftsmodellentwicklung benötigt es fähige und motivierte Mitarbeiter, welche die nötige Kreativität, Geduld und Ausdauer besitzen. Des Weiteren ist es von Vorteil, wenn die Personen bereits über die notwendigen Marktkenntnisse verfügen oder wenn man bereits von einem spezifischen Kundenbedürfnis ausgeht. Wichtig bei der Anwendung der Tools sind ein systematisches Vorgehen und eine fundierte Stakeholder-Analyse. Bei KMU im B2B-Bereich müssen die Zielgruppen klar definiert und ein besonderes Augenmerk auf das Vertriebskonzept und die Kundenintegration gelegt werden. Am wesentlichsten bei der Entwicklung der Geschäftsmodelle ist jedoch die Iteration, das heisst die stetige Berücksichtigung der Kunden- und Partnerfeedbacks. Es sollte so früh wie möglich versucht werden, Rückmeldungen einzuholen, um die Hypothesen oder das Geschäftsmodell zu testen. Dies kann über direkte Kunden- oder Partnerbefragungen, zum Beispiel über den Open-Innovation-Ansatz (7) erfolgen oder bereits durch ein MVP (Minimum Viable Product).
SCHRITT 4
Während oder nach der Ausarbeitung des Geschäftsmodells erfolgt dessen Implementierung. Dazu stehen die beiden Ansätze Effective Practices for Platform (8) (eher als Leitfaden gedacht) und das Rocket model (9). Damit eine Implementierung gelingen kann, muss das Geschäftsmodell genügend konkretisiert sein, damit die definierten Hypothesen beziehungsweise Annahmen überprüft und korrigiert werden können. Ohne diese Systematik läuft man die Gefahr, die Übersicht über relevante Stellhebel zu verlieren und landet im reinen Aktionismus. Spätestens bei Beginn der Implementierung sollte ein MVP erstellt werden, besser jedoch bereits bei Schritt 3. Die Plattform-Architektur sollte im Spezifischen für B2B-Kunden eher offen sein und dabei sollte besonders auf die Usability sowie eine hohe Prozessintegration geachtet werden. Bei der dynamischen Strategie muss bedacht werden, dass die Kundenakquisition im B2B-Bereich meist länger dauert, wodurch
der Aufwand für das Change-Management der Kunden steigt. Daher sollten möglichst früh im Prozess Partnerschaften und Testkunden aufgebaut werden, um einerseits durch rasche Iteration zu lernen, bei welchen Partnern / Kunden welche Anreize greifen und um andererseits möglichst schnell Erfolge zu verzeichnen. Diese helfen, bei der Ankündigung der Plattform Vertrauen bei potenziellen Partnern und Kunden zu gewinnen. Oftmals ist es von Vorteil, erst nach ersten Erfolgen die Plattform offiziell zu starten und zu skalieren.
SCHRITT 5
Eine stetige Iteration nach der Implementierung ist notwendig, um das Geschäftsmodell zu optimieren und zu erweitern. Je früher und schneller diese Iteration verläuft, desto stärker ist die Verschmelzung der beiden Schritte beziehungsweise kommt es zu einer vorteilhaften Parallelisierung dieser Prozesse. Eine starke Parallelisierung verkürzt die Time-to-Market-Phase und lässt die Lernkurve möglichst rasch stark ansteigen.
Dennoch muss beachtet werden, dass im B2B-Bereich oft die Masse an Kunden fehlt (Installed Based), um Streuverluste akzeptieren zu können. Zudem erfordert es meist eine hohe Prozessintegration, und das Change-Management der B2B-Kunden ist sehr aufwändig und benötigt ein starkes Vertrauen. Somit erscheint die richtige Balance der Parallelisierung entscheidend.
ANMERKUNGEN
1) Competing in digital ecosystems (2019)
2) The Platform Economy-Strategies, Governance, and Business Models (2018)
3) The business of platforms: Strategy in the age of digital competition, innovation, and power (2019)
4) www.websites.fraunhofer.de/ENTOURAGE-EPN
5) www.platforminnovationkit.com/
6) www.platformdesigntoolkit.com/
7) Open Innovation Results (2019)
8) Industry Platforms and Ecosystem Innovation: Platforms and Innovation (2014)
9) Platform strategy: How to unlock the power of communities and networks to grow your business (2017)
BEFRAGTE EXPERTEN
> Martina Bühler, Head Marketing & Communications bei Loanboox / Co-Founder of artiazza
> Nicolas Bürer, Managing Director bei digitalswitzerland / Swiss Business Angel of the Year 2018
> Patrick Frei, Major Account Manager bei Bisnode D&B Switzerland Ltd.
> Daniel Schibli, Geschäftsführer Orkanet
> Andreas Graf, Geschäftsführer XIAG AG / Gründer HOGALOG
> René Brugger, Themenverantwortlicher Digitalisierung bei Raiffeisen Unternehmerzentrum / Präsident Swiss Technology Network
> Carsten Vollrath, Founder & CEO bei SWISS IPG PARTNERS GROUP
> Kristina Peneva, Consultant bei VDI / VDE Innovation + Technik GmbH
> Stefan Petzolt, Consultant bei VDI / VDE Innovation + Technik GmbH
> Christina Mihale-Wilson, Researcher Phd Candidate an der Goethe-Universität
> Dr. Michael Kubach, Senior Scientist an dem Fraunhofer-Institut
Ute Eisenkolb ist dipl. Volkswirtin mit Expertise in Digital Leadership und E-Didactics.
Dominic Kaufmann ist Director Competence Center Components und Mitglied der Geschäftsleitung der DOPAG AG und Absolvent des MSc BA mit Vertiefung Innovation Management der FFHS.
Bora Altuncevahir doziert an der FFHS im Master-Studiengang Innovation Management zu Technologieund Innovationsmanagement, Corporate Strategy, Advanced Business Strategy sowie im CAS Blockchain. Er ist Partner eines Innovationsberatungsunternehmens und ist Chair der Education Working Group der Crypto Valley Association.
Dr. Mathias Beck ist wissenschaftlicher Projektleiter an der KOF Konjunkturforschungsstelle und Lehrbeauftragter am Department «Management, Economics, and Technology» an der ETH Zürich. Er doziert an der FFHS im MSc das Modul Innovation Economics und Innovation Management.
Weitere Informationen
www.ffhs.ch