Der Begriff Agilität wird in der Managementdiskussion inflationär gebraucht – auch weil
vielen unklar ist, was er bedeutet: für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter sowie deren Führungskräfte. Davon sind Katja von Bergen und Beat Schori von der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner überzeugt.
Frau von Bergen und Herr Schori, die agilen Verfahren wurden ursprünglich entwickelt, um bei der Softwareentwicklung Ziele schneller und effektiver zu erreichen. Inzwischen wird der Begriff Agilität für alles Mögliche verwendet. Warum wurde er so verwässert?
Katja von Bergen: Unter anderem, weil er oft falsch verstanden und verwendet wird.
Inwiefern wird er falsch verwendet?
Solche agilen Frameworks wie Scrum wurden nicht nur entwickelt, um Ziele schneller zu erreichen. Sie stellen auch den Versuch dar, in Projekten zu realistischeren Einschätzungen zu gelangen, was bis wann erreichbar ist – unter anderem durch mehr Transparenz, ein besseres Teamwork und eine stärkere Reflexion der Leistung und Zusammenarbeit.
Beat Schori: Letztlich geht es darum, durch eine stärkere Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse die Performance zu erhöhen. Schon in den 50ern zeigten Studien, was Hochleistungsteams ausmacht. Dieses Wissen wurde aber leider kaum angewendet.
Warum wird es kaum angewendet?
Unter anderem, weil es – bildhaft gesprochen – nicht genügt, einer Person oder Organisation zu sagen, dass sie Grippe hat: Das Wissen allein macht sie nicht gesund. Es bedarf Lösungen bzw. einer Therapie. Die agilen Prinzipien und Praktiken sind hier ein guter Anfang.
Katja von Bergen: Doch leider denken manche Unternehmen, die agilen Frameworks seien ein Allheilmittel. Deshalb stülpen sie diese über alle Prozesse, auch wenn dies keinen Sinn macht. Dies erzeugt oft Vorbehalte gegen eine agile Arbeitsweise.
Was bedeutet es genau, Projekte agil anzugehen?
Beat Schori: Agil sein beginnt bei der Haltung und dem Mindset – also der Einstellung und den Werten. Um agil zu sein, bedarf es einer geistigen Beweglichkeit, denn die Zukunft ist nie Gegenwart. Deshalb fliessen in jedes strategische Projekt auch viele Annahmen ein, die es im Projektverlauf regelmässig zu überprüfen gilt.
Katja von Bergen: Nach unserer Einschätzung macht das Mindset beispielsweise bei Projekten zur nachhaltigen Steigerung der Agilität von Unternehmen 80 Prozent des Erfolgs aus; nur 20 Prozent entfallen auf die Prozesse, Methoden und Tools. Man darf sie jedoch nicht vernachlässigen.
Warum dürfen Methoden und Tools nicht vernachlässigt werden?
Beat Schori: Unter anderem damit die Führungskräfte und Mitarbeiter die nötigen Rahmenbedingungen und Werkzeuge zum agilen Arbeiten haben. Um hiermit arbeiten zu können, müssen sie jedoch auch neue Denk- und Verhaltensroutinen entwickeln. Das Rüstzeug hierfür kann man sich in Seminaren aneignen. Doch dann gilt es loszulaufen, im Prozess zu lernen und die «Learnings» umzusetzen. Auch das erfordert einen adäquaten Rahmen – in dem unter anderem das regelmässige Reflektieren des eigenen Vorgehens und Tuns, um daraus zu lernen, selbstverständlich ist.
Katja von Bergen: Und hier sind dann auch die Führungskräfte stark gefragt, denn in einem agilen Umfeld ist Führung mehr denn je gefragt, sie muss sich jedoch verändern.
Inzwischen winken viele Unternehmen ab, wenn man sie auf das Thema Agilität anspricht. Sie sagen «Die Methoden taugen nicht für die Praxis». Was lief damit falsch?
In der Regel waren ihre Erwartungen überzogen. Die Vorstellung, dass agile Frameworks alle Probleme lösen, ist naiv. Häufig bestehen in der Unternehmensspitze auch Vorbehalte gegen das agile Arbeiten, wenn diese realisiert: Es genügt hierfür nicht, neue Methoden einzuführen, vielmehr müssen alle top-down umdenken – also auch wir.
Beat Schori: Die agile Transformation ist im Grunde nur ein Veränderungsanlass wie viele andere, allerdings derjenige mit der signifikantesten Wirkung auf Menschen.
Inwiefern ist diese Wirkung die signifikanteste?
Von den Führungskräften erfordert die agile Transformation, dass sie sich und ihre Rolle neu definieren – unter anderem, weil ein Anweisen top-down und enges Steuern und Kontrollieren durch sie nicht mehr erfolgt. Deshalb fürchten viele Führungskräfte zu Unrecht, an Bedeutung zu verlieren – primär, weil sie weder richtig darüber informiert wurden, was die agile Transformation beinhaltet, noch dazu befähigt wurden, in einem agilen Umfeld zu arbeiten.
Und was bedeutet die agile Transition für die Mitarbeiter?
Katja von Bergen: Sie sollen plötzlich mitdenken und Verantwortung für sich und das Ergebnis übernehmen. Das sind viele nicht gewohnt – unter anderem, weil bisher die gesamte Organisation auf die Führungskräfte ausgerichtet war. Was diese vorgaben, wurde gemacht. Ein agiles Arbeiten erfordert diesbezüglich einen Paradigmenwechsel und eine Einstellungs- und Verhaltensänderung auf allen Hierarchieebenen.
Sie schulen agile Methoden. Welcher Punkt ist besonders trainingsintensiv?
Beat Schori: Die Beteiligten zur Einsicht zu führen, dass der Wandel bei ihnen selbst beginnt. Dieser Prozess des Bewusstwerdens erfordert Zeit. Und wenn er erfolgt ist, bedarf
es Lern- und Übungsfelder, um die neu gewonnene Einstellung und Haltung zu festigen, damit daraus ein dauerhaftes Verhalten wird.
Katja von Bergen: Deshalb legen wir zum Beispiel in unserer Ausbildung zum Agile Coach und Transformation Consultant auch einen grossen Wert darauf, die eigene Persönlichkeit bezüglich der agilen ArbeitsArbeitsweisen und Prinzipien zu reflektieren.
Beat Schori: Und keinesfalls sollte man die kulturverändernde Wirkung einer agilen Arbeitsweise unterschätzen. Wir registrieren in Unternehmen, die agile Teams einführten, immer wieder, dass deren Involvement und Engagement rasch auf benachbarte Bereiche abfärben. Ihr Mindset und ihre Arbeitsweise breiteten sich wie ein Virus aus: einmal in Gang gekommen, lässt sich dessen Verbreitung kaum mehr aufhalten, mit einem erwünschten Effekt: Die Teams bekommen wieder Spass an der Arbeit – und transformieren zu «Highperformance Teams».