Führungskräfte müssen, um in dem immer komplexer werdenden Umfeld ihrer Unternehmen erfolgreich zu agieren, zunehmend wissen: wofür stehe ich und wofür nicht? Sie benötigen eine sogenannte Leadership-iD, die ihnen als Kompass für ihr Handeln im Führungsalltag dient.
Viele Führungskräfte haben ein Bild von der idealen Führungskraft verinnerlicht und diesem versuchen sie zu entsprechen. Das ist löblich, doch die Philosophie funktioniert meist nicht. Denn Führungskräfte sind am mächtigsten beziehungsweise wirkungsvollsten, wenn sie die «besten» Aspekte von dem, was sie als Person ausmacht, also ihrer Identität, als Grundlage für ihr Selbstverständnis als Führungskraft und ihren Führungsstil nutzen.
Die Frage nach den Führungsidealen
Eine Leadership-ID beschreibt die ganz individuelle Kombination von Erfahrungen, Qualitäten und Talenten,
> die den Verantwortlichen als Mensch und Führungskraft einzigartig und unverwechselbar machen, und
> auf diese Eigenschaften dann einfach und natürlich zurückgreifen zu können, um Führungspotenzial entfalten zu können.
Es geht also darum, zu erkennen, wer man wirklich ist, statt (Führungs-)Idealen nachzueifern, die nicht passen. Denn nur wer ein Gespür für sich als Führungskraft hat und weiss, was seine ganz persönliche Definition von Führung ist, kann langfristig als Führungskraft erfolgreich sein.
Die Entwicklung und Karriere als Führungskraft sollte eine Manifestation
der Leadership-ID sein. Denn nur wenn
> das, was die Verantwortlichen tun, und
> das (Entwicklungs-)Ziel, welches die Person hierbei hat, mit der ID übereinstimmen, ist man in der richtigen Rolle und verfolgt die richtige Vision. Ist dies nicht der Fall, sollte man darüber nachdenken, wie die spezifische Rolle und das Umfeld so verändert werden kann, dass diese stärker im Einklang mit der Leadership-ID steht.
Mehr Selbst-Bewusstsein
Die Leadership-ID entsteht nicht von selbst. Es gilt diese selbst zu entwickeln, indem der Verantwortliche
> sein Leben und seine Erfahrungen reflektiert und
> die Werte, Stärken, Fähigkeiten, Leidenschaften identifiziert, die bislang die grössten und / oder schönsten Erfolge ermöglicht haben. Dabei gilt es elf Aspekte zu bedenken, die sich in innere und äussere Aspekte unterteilen lassen.
Die sieben inneren Aspekte
1. Die eigene Biografie: «Woher komme ich?» Jede Führungskraft hat ihre eigene Geschichte, die sie zu der Persönlichkeit macht, die sie ist. Erfahrungen aus der Kindheit und im Elternhaus, kulturelle Prägungen, persönliche Rückschläge, Enttäuschungen und Erfolge, das soziale Umfeld und berufliche Erfahrungen – all diese Erfahrungen prägen die Vorstellungen davon, was eine «gute» Führungskraft ist und wie sie sich verhält. Diese Prägungen sind ein zentraler Hebel.
2. Motive: «Was treibt mich an?» Unsere Motive geben uns Auskunft darüber, warum wir tun, was wir tun. Haben wir zum Beispiel den Wunsch, Dinge zu gestalten? Suchen wir den Nervenkitzel? Streben wir nach Anerkennung? Jeder Mensch hat sein eigenes Set an Lebensmotiven. Wenn man weiss, was einen antreibt, weiss man auch, wie die Führungsrolle gestaltet sein sollte, um langfristig zufrieden und erfolgreich zu sein.
3. Werte: «Wofür stehe ich?» Werte sind der innere Kompass, der uns anzeigt, ob etwas richtig oder falsch ist. Ein Motiv ohne Werte auszuleben, ist zumindest zweifelhaft, denn: angenommen eine Führungskraft strebt nach Macht, um Dinge gestalten zu können. Wenn dieses Motiv nicht mit einem Wert wie Fairness gekoppelt ist, kann es zu einem egozentrierten, autoritären Verhalten führen. Ist es hingegen auf einen positiven Wert gerichtet, setzt die Führungskraft ihre Gestaltungsmacht zum Wohl der Mitarbeiter und der Organisation ein. Es gilt sich seiner Werte bewusst zu machen, denn jede Führungskraft braucht ein klares Wertesystem, um auch in komplexen und ambivalenten Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
4. Mission: «Wofür trete ich an?» Jeder Mensch hat den inneren Wunsch, etwas Sinnvolles in seinem Leben zu tun. Und wenn er weiss, was gemäss seinem Wertesystem für ihn sinnvoll ist, hat er seine Mission gefunden. Eine Führungskraft in der Produktion kann zum Beispiel die Mission haben, mit ihren Mitarbeitern Qualität zu produzieren; ein Personal- und Organisationsentwickler die Mission, dass die Mitarbeiter des Unternehmens sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren können. Jede und jeder muss sich die Fragen stellen: was ist meine Mission? Was verleiht meiner Arbeit Sinn?
5. Wirkung: «Woran will ich erkannt werden?» Die Leadership-ID einer Führungskraft schlägt sich in deren konkretem Verhalten nieder; das heisst die Werte, Motive und Mission einer Führungskraft sollten sich für Aussenstehende – also zum Beispiel die Mitarbeiter – erkennbar in ihrem Verhalten zeigen. Welche Verhaltensmuster, -weisen sind für Verantwortliche typisch – zum Beispiel beim Führen von Mitarbeitern, beim Kommunizieren mit ihnen? Was sollen Mitarbeiter, Kollegen, Chefs, Kunden, Lieferanten, wenn sie über die Person reden, sagen?
6. Ressourcen: «Was sind meine Kraftquellen?» Um die eigene Leadership-ID aufrecht zu erhalten und auch in schwierigen Zeiten die nötige Energie zu haben, brauchen wir Kraftquellen. Das können der Sport, Hobbys, die Familie, Freunde, das Meditieren, die Religion und vieles mehr sein. Es gilt sich die Frage zu stellen, wo die Kraftquellen liegen, die helfen, die Batterien wieder aufzuladen. Denn diese sind unabdingbar für ihren langfristigen Erfolg als Führungskraft.
7. Legitimation: «Warum bin ich hier der / die Richtige?» Eine Führungskraft muss an die eigene Wirksamkeit glauben und davon überzeugt sein, an ihrem Ort beziehungsweise in ihrer Funktion einen Unterschied machen zu können. Dabei geht es nicht darum, Allmachtsphantasien zu hegen, sondern das für den Erfolg nötige Selbstbewusstsein und -vertrauen zu anderem, weil man seine individuellen Stärken, aber auch Grenzen kennt. Es gilt Antwort auf folgende Frage zu finden: warum bin ich hier – in diesem Unternehmen, in dieser Branche / Funktion – der / die Richtige?
Die Vier äusseren Aspekte
Eine Führungskraft ist stets in einen Kontext und in ein Netzwerk von Beziehungen eingebunden. Zudem hat sie eine Aufgabe beziehungsweise Funktion in ihrer Organisation, aus der sich wiederum Anforderungen und Herausforderungen ergeben.
8. Stakeholder: «Mit wem stehe ich in Beziehung?» Eine Führungskraft ist immer auch ein Manager zahlreicher, mehr oder minder stark ausgeprägter Abhängigkeitsbeziehungen – zum Beispiel mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, eigenen Vorgesetzten. Aber auch der Lebenspartner ist ein Stakeholder, der das Fühlen, Denken und Handeln einer Führungskraft massgeblich beeinflusst.
9. Erwartungen: «Was sind die Bedürfnisse meiner Stakeholder?» Jeder Stakeholder hat Interessen und Bedürfnisse sowie bewusste oder unbewusste Erwartungen an den Verantwortlichen als Mensch und /oder Führungskraft. Es gilt diese Erwartungen zu erfassen und / oder zu erfragen Die Frage nach dem Umgang mit den vielfältigen Erwartungen steht im Raum.
10. Probleme: «Für welche Herausforderungen liefere ich eine Lösung?» Eine Führungskraft kann nicht alle Erwartungen erfüllen, die ihre Stakeholder an sie haben – zumal sich aus ihnen oft Ziel- und Interessenskonflikte ergeben. Sie kann auch nicht alle Probleme in ihrem Umfeld lösen und sich hierfür verantwortlich fühlen, denn ihre Ressourcen sind begrenzt. Deshalb darf sie sich nicht verzetteln. Zu welchen Erwartungen und Aufgaben sage ich ja – wozu sage ich nein? Das ist hier die zentrale Frage.
11. Rollen: «Was sind meine Hauptrollen?» Eine Führungskraft hat im Rahmen ihrer Tätigkeit viele Rollen – mal ist sie als Chef, mal als Motivator und Inspirator, mal als Berater und Experte und dann wieder als Moderator und Konfliktlöser oder als Planer und Organisator gefragt. Es gilt sich dieser Rollen bewusst zu werden und zu fragen, wie die Hauptrollen aufgrund der Leadership
ID aussehen und nach der Funktion in der Organisation zu fragen.
Tipps zum Entwickeln
Für die Beantwortung der obigen Fragen, braucht es zwei, drei Stunden Zeit. Zudem sollten die Fragen möglichst schriftlich beantwortet werden. Denn eine Illusion wäre es anzunehmen, dass die Leadership-ID sozusagen ruck-zuck entwickelt werden kann, denn damit geht ein Prozess der Selbstreflexion und des Sich selbst-bewusst-werdens einher.
Folglich gilt es immer wieder die genannten Fragen anzuschauen. Sind die gegebenen Antworten wirklich noch überzeugend. Zudem gilt es zwei, drei weitere Personen in das Boot zu holen. Denn jeder Mensch hat blinde Flecken und nicht selten weicht unser Selbstbild von der Fremdwahrnehmung ab.
Mit der Zeit entwickelt sich ein klareres Bild davon, was die Qualität einer Führungskraft ausmacht. Dann kann man zum Beispiel selbstbewusster in der aktuellen Führungsposition agieren. Man weiss «Ich bin hier genau richtig, weil…» Ein Ergebnis kann jedoch auch die Erkenntnis sein: «Ich sollte mich mittelfristig verändern – zum Beispiel, weil die Erwartungen, die in diesem Unternehmen/in dieser Position an mich als Führungskraft gestellt werden, nicht meinen Werten entsprechen.» Ist dies der Fall, sollten Sie das auch tun!
Die Welt braucht gute Führungskräfte. Und warum nicht wechseln, wenn man im aktuellen Job eh nie erfolgreich und zufrieden sein kann?