Die Internationalisierung von Schweizer KMU verläuft anders als diejenige von Grossunternehmen. Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt auf, was dabei erfolgsentscheidend ist und welche Führungs- und Managementkompetenzen notwendig sind.
Der Erfolg des Wirtschaftsstandorts Schweiz ist zu einem grossen Teil vom Erfolg der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unterschiedlichster Branchen abhängig. Weil die Schweiz als Heimatmarkt gerade für hochspezialisierte Nischenangebote schnell gesättigt ist, suchen viele Schweizer KMU früh den Erfolg im Ausland. Die Forschung zur Internationalisierung von Unternehmen fokussierte sich bislang auf Grossunternehmen und multinationale Konzerne. Eine systematische Untersuchung zu den speziellen Voraussetzungen und notwendigen Führungs- und Managementkompetenzen bei KMU fehlte bisher.
Das Thema Internationalisierung orientiert sich bei KMU-Verantwortlichen an Gelegenheiten. Eine von Innosuisse geförderte Studie der Hochschule Luzern zeigt nun auf, dass sich die Internationalisierung von KMU und Grosskonzernen deutlich unterscheidet. Kleine und mittlere Unternehmen beschreiten die Internationalisierung in schnellen Zyklen, orientieren sich an den sich bietenden Gelegenheiten, beziehungsweise Zufälligkeiten und sind dabei stark vom Entrepreneurship und den Führungs- und Managementkompetenzen der Führungskräfte abhängig. Das ist die Ausgangslage aus qualitativen Interviews mit über 20 Schweizer KMU. Dies widerspricht den bisherigen Beschreibungen und Modellen, welche die Internationalisierung traditionell in Stufen als linearen und strategisch geprägten Prozess beschreiben. In der anschliessenden quantitativen Studie erhoben die Forscherinnen und Forscher bei rund 70 weiteren Unternehmen die Ausprägung der Internationalisierungskompetenzen. Dabei standen folgende Fragen im Zentrum: welche Wege führen zu einer erfolgreichen Internationalisierung von KMU? Welche Führungs- und Managementkompetenzen sind wichtig zur Beschreitung dieser Wege? Wie kann gemessen werden, ob die nötigen Kompetenzen in ausreichendem Masse vorliegen? Und wie können diese Kompetenzen – wenn nötig – entwickelt werden?
Das Wechselspiel zwischen den Polen Intuition und rationalen Entscheiden prägen die unterschiedlichen Prozesse. Führungskräfte von KMU begleiten Internationalisierungsprojekte in der Regel durch drei Phasen: eine Start-Phase zum Aufsuchen der möglichen Szenarien und Opportunitäten; eine Konsolidierungs-Phase, um durch die Lancierung von Pilotprojekten eine konkrete Umsetzungsidee zu testen; und eine Etablierungs-Phase zur konsequenten Umsetzung und Skalierung eines Internationalisierungsprojekts. Während dieser drei Phasen bewegt sich eine KMU-Führungskraft ausgeprägter als in anderen Geschäftssituationen in zwei Spannungsfeldern: sie muss einerseits den jeweils richtigen Zeitpunkt für intuitives Handeln oder aber für rationales Entscheiden identifizieren. Und sie muss andererseits effizient bereits bestehende Ressourcen verwenden, ohne den Zeitpunkt für mutige Investitionen in Neues zu verpassen.
Internationalisierung verlangt vielfältige Kompetenzen. Die Führungs- und Managementkompetenzen zur Internationalisierung sind in sieben Teilbereiche zu unterteilen: Risikobewusstsein, Strategie, lernfähige Organisation, Unternehmergeist, interkulturelle Kompetenz, internationale Partnerschaften und Marktorientierung. Erfolgreich internationalisierende KMU-Führungskräfte verfügen über gute Internationalisierungskompetenzen in allen sieben Teilbereichen. Je nach Phase der Internationalisierung sind die Kompetenzen innerhalb dieser sieben Teilbereiche unterschiedlich ausgeprägt.
Konkrete Ergebnisse
Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass die KMU-Internationalisierung als eine Aneinanderreihung von Opportunitäten und auch Zufälligkeiten zu verstehen ist. Die KMU-Internationalisierung gleicht deshalb stark einem unternehmerischen Prozess, und weniger einem linearen, stufenartig geplanten Strategieprozess. Die meisten traditionellen Internationalisierungstheorien betrachten die Internationalisierung jedoch als einen solchen linearen und stufenartigen Prozess, in welchem Unternehmen ihre internationalen Aktivitäten strategisch und schrittweise ausdehnen. Dabei wird typischerweise von der Annahme ausgegangen, dass zuerst in geographisch nahe Märkte expandiert werden soll – das heisst ähnliche Sprache, Kultur, politisches System und vergleichbarer industrieller Entwicklungsstand. Im Verlauf des Internationalisierungsprozesses – so diese traditionellen Theorien – bauen Unternehmen dann schrittweise Wissen und Kompetenzen auf, als Grundlage für eine stufenartige Intensivierung der Internationalisierungsaktivitäten im Zielmarkt oder den Eintritt in neue und distanziertere Märkte.
Kurzum, die traditionelle Sicht auf Internationalisierung geht davon aus, dass Unternehmen und ihre Führungskräfte Zeit haben, sich Schritt für Schritt an die Internationalisierung heranzutasten und dadurch ihre Internationalisierungskompetenzen zu entwickeln. Doch entspricht dieses Internationalisierungsmuster immer weniger den heutigen Realitäten von KMU. Die Internationalisierung – wie so vieles – ist bedeutend schneller geworden. Für die meisten Schweizer KMU bedeutet dies, dass sie nur fünf Jahre nach Internationalisierungsbeginn bereits um die zehn Auslandsmärkte bearbeiten. Ebenfalls dehnt sich das internationale Engagement in ferneren Kontinenten deutlich aus, auch wenn die meisten Schweizer KMU nach wie vor in Westeuropa aktiv sind. Die Internationalisierung aus einer KMU-Perspektive geht also von keinem linearen und stufenartigen Prozess aus, υ sondern von einem opportunitätsgesteuerten Prozess, der niemals anhält. Erfolgreich internationalisierende Führungskräfte in KMU schaffen daher fortwährend einen fruchtbaren Nährboden für internationale Opportunitäten, um über die effektive und effiziente Nutzung dieser Opportunitäten immer wieder neue Internationalisierungsaktivitäten einzuleiten.
Internationalisierung im Spannungsfeld
Führungskräfte in KMU bewegen sich im Prozess der Internationalisierung stets in zwei Spannungsfeldern. Einerseits bewegen sie sich kontinuierlich zwischen intuitivem Handeln und rationalem Entscheiden. Das intuitive Handeln von KMU-Führungskräften zeigt sich unter anderem darin, dass sie auf Reisen gehen, Events besuchen und sich aktiv vernetzen; um im direkten Kontakt ein Gespür für die Opportunitäten der Internationalisierung zu entwickeln. Doch die erfolgreiche Internationalisierung bedarf auch sehr fokussierter und durchdachter Momente, in denen KMU-Führungskräfte strategisch, rational und mutig entscheiden, welche Opportunitäten der KMU-Internationalisierung verfolgt werden sollen. Mit diesen mutigen Entscheiden schaffen diese die Voraussetzung, dass die Energie des Handelns nicht verpufft, sondern für das Vorantreiben des richtig gewählten Internationalisierungs-Szenarios verwendet wird.
Andererseits suchen KMU-Führungskräfte kontinuierlich die richtige Balance zwischen dem Bestehenden und dem Neuen. Im Rahmen der Internationalisierung müssen KMU zwangsläufig Neues schaffen, wie zum Beispiel den Aufbau einer internationalen Supply-Chain oder Niederlassung oder der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden. Gleichzeitig verfügen KMU-Verantwortliche aber meist über beschränkte Mittel, weshalb es für sie besonders wichtig ist bereits bestehende Stärken und Ressourcen effektiv und effizient zu nutzen.
Im weiteren Verlauf der Ergebnispräsentation wird immer wieder deutlich werden, dass die Führungs- und Managementkompetenzen, die KMU-Führungskräfte im Prozess der Internationalisierung benötigen, von diesen zwei grundlegenden Spannungsfeldern stark geprägt sind.
Internationalisierung in drei Phasen
Die Internationalisierung von KMU ist heute klar ein Prozess ohne Anfang und Ende. Dennoch durchlaufen KMU im Rahmen der Umsetzung unterschiedlicher Internationalisierungsideen immer wieder drei übergeordnete Phasen der Internationalisierung: Start-Phase, Konsolidierungs-Phase und Etablierungs-Phase. Diese Phasen beschreiben die Intensität, den Reifegrad und auch die Ausprägung der in einer jeweiligen Phase nötigen Führungs- und Managementkompetenzen.
In der Start-Phase findet durch geschäftiges und hartnäckiges Handeln eine Ideenfindung und eine erste Exploration statt, um überhaupt die Optionen, Szenarien und Opportunitäten einer etwaigen Internationalisierung zum Leben zu erwecken und zu reflektieren. In dieser Phase nutzen Führungskräfte in KMU beispielsweise das bestehende private und professionelle Netzwerk, um schnell und kostengünstig erste Informationen zur Internationalisierungsidee zu sammeln. In dieser Phase entwickeln erfolgreiche KMU-Führungskräfte ein Gespür für die möglichen Erfolgschancen und die potenziellen Herausforderungen der Internationalisierungsidee.
In der Konsolidierungs-Phase werden diese neuen Informationen verdichtet und zu ersten Entscheidungsgrundlagen ausgearbeitet. Diese Entscheidungsgrundlagen sind jedoch nicht als festgelegte Strategie zu verstehen, vielmehr dienen sie der Entwicklung erster Pilotprojekte, um die Internationalisierungsidee zu testen und zu evaluieren. Diese Pilotprojekte werden meist unterschwellig, ressourcenarm und risikoreduziert gestaltet. Ziel dieser Phase ist es, den besten Weg zur Umsetzung der Idee sowie Lösungen auf unmittelbar auftretende Herausforderungen zu finden. Die Phase ist daher geprägt von einem kontinuierlichen Hin und Her zwischen intuitivem Handeln und reflektiertem Entscheiden.
Der Eintritt in die Etablierungs-Phase markiert den Übergang zur konsequenten Umsetzung der Internationalisierungsidee. In dieser Phase werden mutig diejenigen Lösungen skaliert und implementiert, die man zuvor getestet und evaluiert hat. Das bedeutet, dass KMU-Führungskräfte in dieser Phase zwar kontrolliert aber doch konsequent sehr viel riskieren. Sie priorisieren ein zuvor getestetes Projekt klar und investieren konsequent die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen. Dazu gehört unter anderem die Rekrutierung neuer Mitarbeitenden oder der Aufbau einer internationalen Marke.
Die Führungskraft im Internationalisierungsprozess
Für uns war es wichtig offenzulegen, welche Führungs- und Managementkompetenzen von Führungskräften in KMU wann notwendig sind, um internationalen Erfolg zu erarbeiten und zu sichern. Im Rahmen unserer Forschung wurde zunächst deutlich: erfolgreiche KMU-Führungskräfte sind im Prozess der Internationalisierung Generalisten, sie können Vieles, sie machen sehr viel Verschiedenes, und sie tun dies gleichzeitig. Trotz dieser ausserordentlich grossen Vielfalt an gleichzeitigen Handlungen entsteht aber keinesfalls ein Chaos. Bei genauem Betrachten entsteht vielmehr ein klares Bild davon, welche Führungs- und Managementkompetenzen wann eingesetzt werden müssen.
Unsere Forschung zeigt, dass die Internationalisierungskompetenz von KMU-Führungskräften aus sieben Teil-Kompetenzen besteht, die je nach Phase der Internationalisierung eine andere Ausprägung annehmen. Die sieben Teil-Kompetenzen sind wie folgt zu benennen:
Risikobewusstsein: die Kompetenz eine adäquate Risikoeinschätzung vorzunehmen, um – je nach Phase – entweder kleinteilige Internationalisierungsvarianten mit Fehlertoleranz zu testen oder konsequent und mutig grosse Ressourcen zu mobilisieren.
Strategie: die Kompetenz eine Internationalisierungsstrategie herzuleiten, zu fokussieren und umzusetzen.
Lernfähige Organisation: die Kompetenz eine Kultur einer lernfähigen Organisation herzustellen, so dass im Internationalisierungskontext im richtigen Masse Exploration, Delegation und Entwicklung stattfinden.
Unternehmergeist: die Kompetenz im ausreichenden Ausmass und kontinuierlich Elan, Durchhaltewille, Problemlösungsorientierung, Improvisationsvermögen, Zielgerichtetheit und Resilienz vorzuleben.
Interkulturelle Kompetenz: die Kompetenz Personen mit anderen kulturellen Hintergründen sowohl persönlich wie beruflich einschätzen zu können, sowie die Kompetenz sich an Gepflogenheiten und Regeln anderer Kulturen und Märkte anzupassen und etwaige Divergenzen zu überbrücken.
Internationale Partnerschaften: die Kompetenz zum Aufbau, zur Nutzung und Förderung internationaler Partnerschaften, zum Zweck des Voranbringens unternehmerischer Ziele.
Marktorientierung: die Kompetenz Kunden- und Marktbedürfnisse sowie -mechanismen zu verstehen, um darauf aufbauend die Kunden und Märkte effektiv und effizient zu bedienen.
Je nach Phase der Internationalisierung nehmen diese Teil-Kompetenzen eine andere Ausprägung an. Wichtig zu erwähnen ist, dass sich die oben dargestellten Teil-Kompetenzen auf die Projektebene beziehen. Dies heisst, dass es beispielsweise durchaus sein kann, dass sich ein KMU mit einem Internationalisierungsprojekt bereits in der Etablierungs-Phase befindet, mit einem anderen aber erst in der Konsolidierungs-Phase. Die KMU-Führungskraft muss hier gleichzeitig in der Lage sein – je nach Phase dieser beiden Projekte – diese Projekte mit einer unterschiedlichen Ausprägung der Teil-Kompetenzen voranzutreiben.
Zudem ist es wichtig zu erwähnen, dass KMU-Führungskräfte mit Kompetenzen auf der Stufe der Phase 3 nichts desto trotz bezüglich neuer Projekte die Projektbegleitung wieder in Phase 1 beginnen. Führungskräfte in KMU brauchen also neben den oben dargestellten Teil-Kompetenzen die Fähigkeit zu erkennen, in welcher Phase sich das Internationalisierungsprojekt befindet, um sich richtig und phasengerecht für das Projekt einzusetzen.
Im Rahmen unserer Forschung hat sich der rechtzeitige Übergang in die jeweils nächste Phase als entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Internationalisierungsprojekts erwiesen. Das Verweilen in einer Phase – das heisst das fehlende Vermögen Führungs- und Managementkompetenzen der nächsten Herausforderungsstufe anzupassen – ist bei KMU-Führungskräften oftmals deutlich ausgeprägt. Mit dem Wissen um die Phasenhaftigkeit und Ausprägung der Teil-Kompetenzen in der jeweils nächsten Phase können KMU-Führungskräfte ihr Handeln bewusster steuern und anpassen.