E-Learning erlebt weiterhin einen Boom. Sowohl Unternehmen als auch der öffentliche Sektor sehen in digitalen Lernangeboten ein grosses Potenzial, die Effizienz und Qualität ihrer Bildungsangebote zu steigern, flexiblere und den Bedürfnissen der Lernenden angepasste Kurse anzubieten sowie die Kosten zu reduzieren. Aber was für Trends erwarten uns heute und in den nächsten Jahren auf dem E-Learning-Markt?
Wohin gehen die Entwicklungen bei den Lernformen? In der neusten MMB-Trendmonitor-Studie für das Jahr 2016 haben Experten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland eine Rangliste der wichtigsten Trends für das digitale Lernen definiert. Dabei wurden «Blended Learning» (der Mix von Präsenz- und Online-Lernen), «virtuelle Klassenräume» (reines Online–Lernen, bei dem die Lernenden synchron miteinander interagieren) und «mobile Applikationen» (ortsunabhängiges Lernen) als wichtigste Lernformen auf die ersten drei Plätzen gesetzt. Den deutlichsten Aufwärtstrend zeigt das adaptive Lernen. Damit sind Lernanwendungen gemeint, die sich automatisch an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen. Verlierer in der Rangreihe mit eindeutigen Abwärtstrends zum Vorjahr sind «Serious Games» und «3D-Welten». Konstant wichtig bleiben insgesamt «Webbasierte Trainings» und «Social Networks» in der Weiterbildung bei grossen, mittleren und kleinen Unternehmen. Der grösste wirtschaftliche Erfolg wird von den mobilen Anwendungen beziehungsweise Mobile Apps erwartet.
Ein guter Gradmesser für die Zukunftstrends im E-Learning bietet auch der internationale «Horizon Report 2016». Die befragten Experten aus 16 Ländern erwarten kurzfristig, das heisst innerhalb eines Jahres, die grössten Fortschritte beim genauen Messen von Lernresultaten und Lernverhalten («Learning Analytics»), beim Personalisieren von Lernanwendungen («Adaptive Learning») und beim Einbinden von diversen Geräten in gemeinsame Lernumgebungen («Bring Your Own Device»). In etwa vier bis fünf Jahren, so die Voraussage der Experten, sollen auch das Einbeziehen von Emotionen und Gefühlen in E-Learning-Anwendungen («Affective Computing») und das Zusammenspiel von Robotern und Lernumgebungen («Robotics») aktuell werden.
Doch was genau steckt hinter diesen Trends, und welcher Nutzen lässt sich daraus ziehen? In der Folge betrachten wir drei spannende Entwicklungen etwas näher.
#Trend 1: Adaptives Lernen oder wie passt sich ein System an die Lernbedürfnisse an.
Stellen Sie sich folgende Lernsituation vor: Eine Person bearbeitet intensiv einen vorgegebenen Abschnitt einer Lernanwendung und absolviert anschliessend einen Test, um seinen Lernfortschritt zu kontrollieren. Das Lernsystem erkennt den erworbenen Wissensstand, vergleicht diesen mit der Zielvorgabe und macht je nach Resultat Vorschläge, welchen Bereich die Person als Nächstes bearbeiten sollte oder was in einer leicht geänderten Form wiederholt werden sollte. Alternativ sind auch Vorschläge zum Überspringen von Themen möglich.
Beim adaptiven Lernen wird davon ausgegangen, dass Lernende als Individuen auch unterschiedliche Lernbedürfnisse haben. Jeder Lernende sammelt verschiedene Erfahrungen und erlebt unterschiedliche Lebens- und Bildungsgeschichten. All dies beeinflusst die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und bewertet werden.
Die Weiterentwicklung unserer Wissens- und Informationsgesellschaft zeigt, dass unsere Lebenskonzepte weiter ausdifferenziert werden und die Individualisierung der Gesellschaft ansteigt. In der Arbeitswelt setzen wir uns zudem mit einer zunehmenden Spezialisierung unserer Tätigkeiten und einer beschleunigten technologischen Entwicklung auseinander. Effiziente und bedarfsorientierte Lernanwendungen müssen in diesem Kontext verstärkt individualisierte und personalisierte Online-Lernszenarien schaffen. Denn nur, wenn (Weiter-)Bildungsangebote an die Bedürfnisse der Lernenden von heute – und vor allem von morgen – angepasst werden und ihnen den gewünschten Mehrwert bieten, können Kunden- und Mitarbeiterloyalität beziehungsweise –Akzeptanz gewonnen und aufrechterhalten werden.
Genau das leisten adaptive Lernsysteme. Sie passen Lerninhalte den Bedürfnissen, Präferenzen und dem Lernfortschritt der einzelnen Lernenden an, sodass die Lernprozesse individuell gestaltet und gefördert werden. Diesem adaptiven Lernsystem liegen zumeist mehr oder weniger sichtbare Empfehlungssysteme (Recommender) zugrunde. Ähnliche Anwendungen werden heute schon im kommerziellen Verkaufsbereich beispielsweise bei Amazon oder Netflix erfolgreich eingesetzt.
#Trend 2: Learning Analytics oder wie werden Lernresultate und Lernverhalten maschinell gemessen.
Stellen Sie sich erneut eine Lernsituation vor: Eine Gruppe von Lernenden arbeitet an einem Online-Kurs. Sie lesen Texte, schauen sich Videos an und bearbeiten Tests zur Selbstkontrolle. Einige Teilnehmenden sind aktiv, andere weniger. Die Lehrerin beobachtet auf ihrem Dashboard mittels Fortschrittsbalken und Diagrammen, wie sich die Teilnehmenden am Kurs beteiligen. Sie motiviert die weniger aktiven Teilnehmenden, indem sie ihnen persönliche Nachrichten schreibt. Sie unterstützt individuell auch die Teilnehmenden, die Probleme mit den Aufgaben oder Texten haben. Die Teilnehmenden sehen auf ihrem Dashboard, wo sie stehen, wie erfolgreich sie sind und welche weitere Inputs und Aktivitäten auf sie zukommen.
Jeder Mensch hinterlässt einen digitalen Fingerabdruck, sobald er sich in einer Online-Umgebung bewegt. Dies ist auch der Fall bei Online-Lernplattformen. Jeder Klick bleibt in einer Datenbank in Form eines Log-Files gespeichert. Auf Basis dieser Klicks können das Lern- sowie das Navigationsverhalten der Lernenden rekonstruiert und mittels mathematischer oder statistischer Verfahren vorausgesagt werden. Auf diese Weise können Lernprofile – im einfachsten Fall beispielsweise «Vielnutzer» oder «Wenignutzer» von Lernfragen – erstellt werden. Solche Daten werden mit für den Lernerfolg oder die Motivation massgeblichen Faktoren verglichen und visualisiert.
Diese Visualisierungen können entweder die Lernenden selbst oder Lehrende nutzen, indem sie beispielsweise lernkritische Situationen rechtzeitig identifizieren, entsprechende Initiativen ergreifen, um den Lernprozess zu verändern beziehungsweise zu verbessern. Natürlich können die Daten auch dazu benutzt werden, positive Verhaltensweisen zu stärken. Darüber hinaus können auf Basis grosser Datenmengen auch ganze pädagogisch-didaktische Ansätze evaluiert und verbessert werden.
#Trend 3: Affective Computing oder wie Lernsysteme Gefühle und Emotionen einschätzen lernen.
Wiederum gehen wir von einer Lernsituation aus: Ein Lernender erledigt gerade an seinem Smartphone eine Aufgabe und ist frustriert, weil er nicht mehr weiterkommt. Nun erkennt das Lernsystem automatisch seine Frustration und bietet ihm just-in-time automatische Lernhilfen, die ihn beim Problemlösen unterstützen.
Der Lernerfolg hängt unter anderem auch von der Motivation und den Emotionen der Lernenden ab. Neuere Ergebnisse der Hirnforschung zeigen auf, dass die Prozesse der Informationsverarbeitung und emotionale Zustände beim Lernen Hand in Hand gehen. Das Lernverhalten hängt dabei nicht nur vom Wissensstand ab. Ob jemand motiviert und mit positiven Gefühlen an eine Lernaufgabe geht oder mit anderen zusammenarbeitet, hat einen Einfluss auf den Lernerfolg.
Neue technologische Entwicklungen ermöglichen es heute, Emotionen mittels einer speziellen Systemarchitektur diskret zu erkennen, zu analysieren, auszuwerten und im Lernprozess einzusetzen. Dieser Vorgang wird als Affective Computing bezeichnet. Für die Lernanwendungen ausserhalb des Forschungslabors, wie etwa im Klassenzimmer, Betrieb oder zu Hause, können unter anderem Video- und Audiobeobachtungen über eine Webcam und Mikrofon eingesetzt werden. Diese sind heute praktisch in jedem Computer, Tablet oder Smartphone integriert.
Wie werden aber die Emotionen durch solche Systeme erkannt? Beispielhaft lässt sich hierzu das sogenannte «Facial Action Coding»-Verfahren aufführen. Hierbei werden die Gesichtsausdrücke mittels einer Webcam gefilmt und in Bewegungseinheiten, etwa Veränderungen der Gesichtsmuskeln, «zerlegt». Anschliessend werden sie mit Computermodellen verglichen, einer bestimmten Gefühlslage zugeordnet und interpretiert. Die entsprechenden Daten liefern zuverlässige Aussagen über aktuelle emotionale Zustände des Lernenden. Neben dieser Form der Erfassung von Emotionen gibt es weitere zukunftsträchtige Messmethoden wie beispielsweise die Aufzeichnung akustischer Merkmale bei der Aussprache von Wörtern.
Weitere Informationen: www.ffhs.ch