Die Privatwirtschaft und andere Teile der Gesellschaft fühlen sich oft als unterschiedliche Welten an. Dabei sind sie untrennbar miteinander verbunden und können viel voneinander lernen. Zahra Darvishi ist Head of Corporate Citizenship Switzerland der Credit Suisse. Sie bringt die verschiedenen Ansprüche produktiv zusammen.
Geschäftsführer: Haben Sie schon die neue Hollywood-Satire «The Big Short» im Kino gesehen? Dort wird uns die letzte Bankenkrise drastisch vor Augen geführt.
Zahra Darvishi: Ich habe nur den Trailer gesehen und daher lediglich eine Vermutung, wie der Film abläuft: Natürlich findet sich wie in jedem anderen Unternehmen eine grosse Vielfalt von Charakteren, die sich aber nicht mit der filmischen Darstellung decken.
Der Crash von 2008 wird hier mit Stars wie Brad Pitt und Christian Bale als atemloser Egotrip präsentiert. Für viele Menschen ist das die Realität in der Bankenwelt. Wie sehen Sie das?
Das ist ein verzerrtes Bild. Ich bin seit 15 Jahren bei der Credit Suisse. Ich erlebe hier tagtäglich Führungskräfte und Mitarbeitende als professionelle und verantwortungsbewusste Berufsleute, liebevolle Familienmenschen und engagierte Mitglieder der Gesellschaft.
Ihr Bereich heisst Corporate Citizenship. Wie füllen Sie das Schlagwort mit Leben?
Unser Ansatz zur unternehmerischen Verantwortung – auf Englisch Corporate Responsibility – bezieht sich auf die gesamte Organisation. Er baut bei uns auf vier Pfeilern auf: Verantwortung im Bankgeschäft, Verantwortung als Arbeitgeber, für die Umwelt und gegenüber der Gesellschaft. Im Rahmen von Corporate Citizenship engagieren wir uns gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen für soziale Anliegen. Zusätzlich zur finanziellen Unterstützung stellen wir unseren Partnerorganisationen unsere wichtigste Ressource, unsere Mitarbeitenden, zur Verfügung. Die Schwerpunkte unseres gesellschaftlichen Engagements liegen in den drei Bereichen Bildung, Mikrofinanz und Mitarbeiterengagement.
Mein Team und ich beschäftigen uns unter anderem mit dem gesellschaftlichen Engagement unserer Mitarbeitenden in der Schweiz. In erster Linie kümmern wir uns dabei um Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen.
Was heisst dies praktisch?
Wir definieren gemeinsam mit unseren Partnern Aufgabenfelder im Gemeinwesen, in denen wir etwas bewirken können, um soziale Herausforderungen gezielt und wirksam angehen zu können.
Aber das sind doch klassische staatliche Aufgaben?
Die Erwartungshaltung, dass der Staat allein für alles verantwortlich ist, greift sicherlich zu kurz. Auch Unternehmen sind heute stark gefordert, Verantwortung für Entwicklungsschritte im Sozialbereich zu übernehmen. Der Privatsektor kann viel zu nachhaltigen Entwicklungen beitragen.
Soziale Probleme gibt es auch in einem reichen Land wie der Schweiz?
Ja, natürlich. Ein Blick in die Medien genügt, um sich ein Bild der sozialen Problemstellungen und Ängste der Schweizerinnen und Schweizer zu verschaffen. Auch das jährlich erscheinende Credit Suisse-Sorgenbarometer liefert beispielsweise Hinweise darauf, was die Schweiz bewegt und beschäftigt. Weit verbreitet sind laut dem CS-Sorgenbarometer etwa die Ängste vor sozialem Abstieg und Arbeitslosigkeit.
Jetzt müssen Sie konkreter werden.
Ein Beispiel: Seit 2010 haben wir bis zu 30 Millionen Franken in die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit investiert und erfolgreich Projekte von Partnerorganisationen unterstützt. Die Programme arbeiten heute wirkungsvoll und effizient und tragen langfristig auch zur Minderung des Fachkräftemangels in der Schweiz bei. Angesichts dieses Erfolgs gründeten wir gemeinsam mit der SVC Stiftung für das Unternehmertum den Verein Check Your Chance. Das ist eines unserer herausragenden Projekte in der Schweiz.
Normalerweise geht es in börsenkotierten Unternehmen um Shareholder. Bei Ihnen geht es um alle Stakeholder. Sie erweitern den Blick in die Gesellschaft hinein.
Genau so ist es. Unternehmerische Verantwortung bedeutet für uns, nachhaltigen Mehrwert zu schaffen – für unsere Kunden, Aktionäre, Mitarbeitenden und weiteren Anspruchsgruppen – und letztendlich für die Gesellschaft als Ganzes.
Es geht aber nicht darum, einfach nur Initiativen Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch Mitarbeitende der Credit Suisse zu involvieren. Welche Idee steht dahinter?
Die Mitarbeitenden sollen sich mit Unbekanntem auseinandersetzen und auf neue Erfahrungen einlassen. Arbeitet ein Mitarbeiter unserer Bank zum Beispiel einige Tage in einer sozialen Einrichtung, reagiert er nach seiner Rückkehr ins gewohnte Umfeld sehr wahrscheinlich sensibler auf gesellschaftliche Fragestellungen. Diese Art der Sozialkompetenz wird in der heutigen Geschäftswelt für die eigene Karriere immer wichtiger. Auf der anderen Seite profitiert der Partner natürlich vom unentgeltlichen Arbeitseinsatz und oft auch vom Know-how der beteiligten Credit Suisse-Mitarbeitenden.
Eines Ihrer Projekte ist der «Seitenwechsel» für Manager, die durch soziale Arbeitseinsätze in ganz andere berufliche Welten eintauchen. Können Sie dies erläutern?
Unsere Verantwortungsträger sind sehr stark in ihre Aufgaben eingebunden – sowohl zeitlich als auch emotional. Das bedeutet, dass Einsätze jenseits der eigentlichen Kernaufgaben unserer Mitarbeitenden nicht nur sehr gut begründet werden müssen, sondern sie müssen auch einen Mehrwert für die Credit Suisse-Mitarbeitenden bieten, indem beispielsweise über die Einsätze wichtige Kompetenzen geschult und gestärkt werden. «Seitenwechsel» ist ein gemeinnütziges Programm, das Führungskräften einen herausfordernden, in der Regel fünftägigen Arbeitseinsatz in einer sozialen Institution vermittelt. So verlassen unsere Leute ihre alltägliche Routine und Komfortzone und erleben eine ganz andere Welt. Das Ziel ist es, beispielsweise einen kooperativen Führungsstil, Verständnis für gesellschaftliche Verantwortung und soziale und berufliche Kompetenzen weiter aufzubauen.
Wir haben 2013 begonnen, unser Top-Management für solche Aktivitäten zu gewinnen und möchten nun vermehrt auch das mittlere Management dazu motivieren. Führungskräfte sollten auch ihre Rolle als Botschafter für ein stärkeres soziales Bewusstsein wahrnehmen.
Verraten Sie uns ein Beispiel?
Die Programmteilnehmer können wählen, für welche sozialen Institutionen sie sich einsetzen möchten: Kinderheime, Jugendintegrations- und Asylzentren, Landeskirchen, Gefängnisse oder pädagogische Schulen, um nur einige zu nennen.
Unsere Programmteilnehmenden machen in diesen Umgebungen Erfahrungen, die sie persönlich prägen und die letztlich auch wieder in ihr Verhalten im Geschäftsleben miteinfliessen. Wie soll man beispielsweise reagieren, wenn in einem Gefängnis ein Gefangener ausrastet und gewalttätig wird? Und wie gehen wir auf der anderen Seite im Geschäftsalltag mit einer Konfliktsituation um? Auf den ersten Blick sind das völlig unterschiedliche Situationen. Aber die Fähigkeiten, die nötig sind, um die beiden Herausforderungen zu meistern, sind durchaus vergleichbar. Wir hören immer wieder, dass Vorgesetzte nach einem «Seitenwechsel» begonnen haben, ihre Verhaltensmuster zu hinterfragen. Dass sie mehr zuhören, offener, ehrlicher und direkter kommunizieren. Und dass dadurch ihre Teams enger zusammenarbeiten und sich in schwierigen Situationen besser unterstützen.
Jetzt gibt es den Einwand, dass solche Projekte zwar den Blick der einzelnen Person weiten, allerdings auf die Geschäftspolitik des Unternehmens keinen Einfluss haben. Wenn man wieder in seinem Job ist, funktioniert man dort genau so wie vor dem Seitenwechsel. Im Ökobereich würde der Vorwurf Greenwashing lauten. Was antworten Sie auf den Feigenblattvorwurf?
Die Wirkung solcher Programme zeigt sich sicher nicht unmittelbar und ist daher auch nicht so leicht zu messen. Dennoch ist sie ganz klar vorhanden. Zum Beispiel: Einer unserer Kadermitarbeiter arbeitet in einem Heim für Kinder und erlebt Menschen, die mit unheimlich belastenden Problemen zu kämpfen haben. Zurück am Arbeitsplatz haben ihm diese prägenden Erfahrungen auch Jahre später geholfen, beispielsweise in schwierigen Situationen mit Mitarbeitenden, etwa in einem Krankheitsfall, entsprechend umsichtig und einfühlsam zu reagieren. Solche Rückmeldungen zu deutlich gestärkten Sozialkompetenzen nach solchen Einsätzen erhalten wir sehr oft.
Wie ist eigentlich Ihre Position in Ihrem Hause? Steht Ihre Aufgabe nicht immer hinter dem Kernbusiness – Geld verdienen – zurück? Müssen Sie da nicht viele Kämpfe ausfechten?
Mein Team und ich arbeiten sehr eng mit den Businessabteilungen zusammen. Zudem komme ich selber aus dem Business und kenne die Ansprüche der operativen Abteilungen. So finden wir im Gespräch meist den richtigen Weg, um beispielsweise unsere sozialen Engagements eng auf die Kompetenzen unserer Mitarbeitenden abzustimmen und damit langfristigen Mehrwert für beide Seiten zu erzielen.
Können Sie dazu konkrete Beispiele aufzeigen?
Eine Kundin von uns hat eine Stiftung gegründet. Aktuell geht es dabei in erster Linie um den Aufbau eines kleinen Wasserkraftwerks in Afrika. Mitarbeitende der Credit Suisse helfen nun dabei, die lokalen Mitarbeitenden der Stiftung vor Ort in Buchhaltung, Marketing und Management auszubilden.
Oder: Die Organisation B360 fördert den Austausch von Fachwissen zwischen europäischen Experten und afrikanischen Studierenden. Die Experten unterrichten ehrenamtlich an Hochschulen in Afrika und die Studierenden absolvieren Praktika in der Schweiz, unter anderem auch bei uns. So profitieren alle Beteiligten von den Synergien. Wir engagieren uns mit Fachwissen und finanzieller Unterstützung für die Organisation und profitieren unsererseits von davon, unseren Mitarbeitenden über diese Erfahrung ihre beruflichen und sozialen Kenntnisse zu erweitern und damit letztlich auch unsere Unternehmenskultur zu stärken.
Weitere Informationen:
www.credit-suisse.com/volunteering
www.check-your-chance.ch