Von Roland Baer
Die erstaunliche Wandlung der Schweizer Börse – von chaotisch zu abgeklärt. Das System à la criée entstand im 19. Jahrhundert. Schreiende und gestikulierende Händler boten sich gegenseitig Wertpapiere an. Die Sprache war ruppig, laut und nicht für jedermann verständlich. Die Börsianer hatten ihre eigene Sprache und Gestik. Mit Händen und Füssen wurden die verschiedenen Transaktionen abgewickelt, doch die Stimme war wichtig, um sich Respekt zu verschaffen.
Die erste Börse, an der mit Wertpapieren von Kapitalgesellschaften gehandelt wurde, wurde in der Schweiz 1850 in Genfunter dem Namen Société des agents de change réunis gegründet. Ebenfalls in Genf wurde 1855 eine Ring-Börse eröffnet, die im darauffolgenden Jahr vom Genfer Staatsrat anerkannt wurde. Die 1876 eröffnete Börse in Basel stand ebenso unter kantonaler Aufsicht, genau wie die Börse in Zürich, an der 1884 der erste Handel mit staatlicher Bewilligung stattfand. Vier kleinere Börsen spezialisierten sich auf den Handel mit Regionalwerten und waren rein privatrechtlich organisiert. Hierzu zählten die 1873 gegründete Börse in Lausanne sowie die von 1885 in Bern, 1905 in Neuenburg und 1933 in St. Gallen. Den Börsen wurde von den Kantonen eine Umsatzsteuerpflicht auferlegt.
Die Transaktionen wurden mittels Schlussnoten verglichen. Nicht immer war man sich nach dem Handel einig und fand doch auch wieder schnell eine vernünftige Lösung, da in den meisten Fällen die Bankenkunden hinter den Transaktionen standen.
Telefonkabinen waren die Arbeitsorte der Börsentelefonisten. Sie nahmen die Aufträge der Bankfilialen auf, notierten die Wünsche und gaben die Order an den Händler weiter. Die Telefonhörer wurden mit langen Kabeln an den Ring gebracht, um die Kurse so schnell wie möglich zu übermitteln, da diese sehr nahe am Börsenring platziert waren. Es war ein Wirrwarr aus Telefonkabel-Hindernissen, Hilfshändlern, welche im Weg standen, und Analysten, welche die Aktienkurse mit ihren Kollegen begutachteten.
Fairness war oberste Priorität, damit der Handel zügig vonstattenging, denn andere Börsen öffneten eine nach der anderen, und das Spiel mit der Arbitrage – kaufen hier und verkaufen dort zum gleichen Zeitpunkt – begann an zwei verschiedenen Börsenplätzen.
Anfang der 1980er-Jahre wurde der Druck grösser, eine Änderung vorzunehmen. Die Unternehmen begannen sich über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Die derivativen Instrumente wurden geboren. Die Folge war eine stark steigende Emission von Wertpapieren, die zu Kapitalengpässen an den Börsen führte. Es wurden zusätzliche Handelsringe eingerichtet. Doch auch diese Umstellung reichte nicht und es wurde behelfsmässig in Sitzungszimmern gehandelt.
Der Börsencrash von 1987 galt als schwarzer Montag und ging in die Geschichte des Wertpapierhandels ein. Schlimmer war nur die Weltwirtschaftskrise von 1929. Am Dienstag danach herrschte Ausnahmezustand an der Zürcher Börse. Dank des Telefonhandels der Banken erhielten die Ringhändler gewisse Kursindikatoren. Die Grenze des Handels à la criée wurde merklich erreicht. Die üblichen Handelszeiten wurden um mehrere Stunden überzogen. Zudem gab es bei vielen Aktien keine Kurse, da der Handel durch diese grossen Kurssprünge immer wieder unterbrochen werden musste. Alte Börsianer sprechen heute noch von diesen verrückten Stunden an der Börsenstrasse. Das enorme Wachstum des Aktienvolumens, die Überziehungen der Handelszeiten und die Erneuerung des Optionenhandels machten den Schritt zur elektronischen Börse, so unpopulär er auch zuerst in den Kreisen der Banken war, unumgänglich.
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1995 begann das elektronische Börsenzeitalter
Nach vielen Jahren der Entwicklung begann in der Schweiz am 8. Dezember 1995 das elektronische Börsenzeitalter. Zu Beginn wurde allerdings nur das kleinste Handelssegment, die Auslandsaktien, auf das neue System aufgeschaltet, kaum fünf Prozent des Gesamtvolumens machten diese Transaktionen aus. Damit wurden Auftragseingabe, Handel, Verrechnung und Verwahrung der Titel elektronisch integriert. Weltweit war dieser Schritt ein absolutes Novum. Leider verlief diese Einführung nicht durchwegs stabil und erwies sich als riskant. Es kam zu Ausfällen und Unterbrüchen. Nach gelungenen Verbesserungen des Systems wurden die grösseren Titelsegmente der Schweizer Aktien und Optionen umgestellt und aufgeschaltet. Wenig später folgten die Obligationen. Der Ringhandel wurde am 15. August 1996 zum letzten Mal vom Börsenkommissar abgeläutet. Eine 146-jährige Ära – und damit die Geschichte des Ringhandels à la criée – ging in der Schweiz zu Ende.
Nach der Umstellung nahm die Anzahl der Zugriffe auf das System rasant zu. Schon bald hatte man mit Kapazitätsengpässen zu kämpfen. Niemand hatte mit solch einem Aufschwung gerechnet und die Volumen explodierten förmlich. Schon bald mussten die Kapazitäten von zwölf auf 200 Zugriffe pro Sekunde ausgebaut werden. (Inzwischen wurde das Volumen auf ein Vielfaches erhöht und erweist sich als stabil.)
Schweizer Börse SIX
Die Schweizer Börse SIX (früher SWX Swiss Exchange) ist die grösste Schweizer Börseund entstand im Mai 1995 durch den Zusammenschluss der drei Börsen Genf, Basel und Zürich. Die Schweizer Börse ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der SIX Group. Der SIX-Hauptsitz befindet sich heute in der Pfingstweidstrasse in Zürich. Der bedeutendste Aktienindex der SIX Swiss Exchange ist der Swiss Market Index (SMI).