Beim Ausweiten und Internationalisieren ihrer Marketing-Aktivitäten kommen Unternehmen um China kaum noch herum. Den Begriff «Reich der Mitte» darf man gerne wörtlich nehmen, denn insbesondere der Mittelstand profitiert von den Potenzialen der Volksrepublik – gerade in der aktuellen Corona-Krise. Wenn durch das Virus in Europa die Aufträge einbrechen, lohnt der Blick nach Asien.
Die Frage, was China überhaupt ist, ist in der Geografie sehr leicht zu beantworten. Eigenschaften wie etwa Grenzverläufe sind in der Regel trotz politischer Kontroversen vergleichsweise eindeutig. Im Marketing reicht es dagegen nicht aus, China nur als bestimmtes, begrenztes Territorium zu interpretieren, denn dafür ist das Land zu gross und die Bevölkerung zu heterogen. Marketing-Experten müssen sich daher mit detaillierteren Faktoren auseinandersetzen. Dazu gehören beispielsweise die Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die in China deutlich ausgeprägter sind als in den westlichen Staaten; den unterschiedlichen Klimazonen, die einen Einfluss auf die Nachfrage des Produktes haben können; den veränderten Familienstrukturen geprägt durch die Ein-Kind-Politik, dem daraus resultierenden leichten Männerüberschuss, aber auch dem häufigen Zusammenleben von mehreren Generationen. Kaum eine Erkenntnis zum Konsum- und Nutzungsverhalten aus dem europäischen Markt lässt sich 1 : 1 auf China übertragen. Unternehmen müssen sich daher zwingend mit den lokalen Anforderungen und Gegebenheiten auseinandersetzen und den chinesischen Markt genau untersuchen.
Schneller wandel, neue Chancen
Der rasanten Entwicklung Chinas vom Entwicklungsland zur Industrienation liegt ein wichtiger Baustein für den fernöstlichen Erfolg zugrunde: der Mut zu und die Offenheit für neue Technologien. Wandel wird in China oft deutlich radikaler vollzogen als hierzulande. Findet sich eine neue, bessere Technologie, wird eine alte schneller fallen gelassen. Für Markteinsteiger ist dies eine klare Chance – sofern sie mit den dortigen Erwartungen nicht nur mithalten, sondern diese übertreffen. Dabei ist die wichtigste Prämisse unabhängig von dem eigentlichen Produkt: Ohne Digitalisierung geht es nicht. Die Implementierung digitaler Technologien in die Kommunikations- und Fertigungsprozesse – und oft auch in das Nutzerprodukt – wird zur Voraussetzung für die Akzeptanz im neuen Markt.
Anderer Markt, andere Tools
Insbesondere beim Online-Marketing müssen sich Markteinsteiger mit den unterschiedlichen Arbeitsweisen arrangieren. Offensichtlich wird dies bei den digitalen Ökosystemen: So hat Google gegenüber dem dortigen Platzhirschen Baidu verschwindend geringe Relevanz, Ähnliches gilt für den E-Commerce-Sektor. So dominiert in China Alibaba statt Amazon. Dasselbe Bild zeichnet sich bei Social Media: WeChat ist der Leader, nicht WhatsApp oder Facebook. Dies hat Folgen für den Einsatz von Tools, denn die bekannten Online-Marketing-Allzweckwaffen aus dem Silicon Valley – Google Ads und Analytics oder der Facebook Business Manager – sind in der Volksrepublik nahezu bedeutungslos. Stattdessen sind wichtige Werkzeuge beispielsweise Baidu Tuiguang zur Ad-Ausspielung über die beliebte Suchmaschine oder sogenannte Service Accounts bei WeChat, also Unternehmensprofile im weit verbreiteten Alltags-Manager.
Daten im Mittelpunkt
Nicht nur die Plattformen und Marketing-Tools, auch die Art der Nutzung auf dem chinesischen Markt unterscheiden sich fundamental. So ist die Offline-Online-Verzahnung schon viel weiter fortgeschritten: QR-Codes sind im Alltag überall zu finden und werden deutlich mehr genutzt als hierzulande, Bezahlung via App ist praktisch Standard. Dies führt dazu, dass Daten eine noch grössere Rolle im Marketing spielen. In China ist man sich bewusst: Data-Marketing führt tendenziell zu einem höheren Nutzungskomfort durch stärkere Relevanz des Werbe-Contents, während die Skepsis hierzulande deutlich grösser ist.
Im Online-Marketing im Reich der Mitte eröffnet diese Einstellung viele Möglichkeiten für eine personalisierte Ansprache, zudem lassen sich Zielgruppen deutlich trennschärfer und eindeutiger identifizieren und erreichen. Auch auf das Marketing in Deutschland hat dies einen positiven Effekt, denn Informationen, die im chinesischen Markt gewonnen werden, tragen dazu bei, die Zielgruppe nicht nur in Asien, sondern auch hierzulande besser kennenzulernen und zum Beispiel mit programmatischen Anzeigen optimal zu erreichen. Die Markterschliessung von China sorgt schliesslich auch dafür, dass die heimischen Praktiken und Zielgruppen erneut hinterfragt werden. Oft genug lernt man in der Fremde die Nähe mit anderen Augen zu sehen – von den Erkenntnissen über ein völlig anderes Wirtschaftsumfeld profitiert somit auch die heimische Arbeit nachhaltig.
Neuer Markt, neue Chancen
Die Corona-Krise macht es notwendig, dass KMU verstärkt nach neuen Märkten und Potenzialen Ausschau halten. Als einer der lebendigsten wirtschaftlichen Märkte eröffnet China vielversprechende Möglichkeiten. Die Unterschiede zum Marketing in den westlichen Ländern sind dabei gross: Werbemittel, die sich hierzulande gut bewährt haben mögen, können im chinesischen Markt wirkungslos sein. Aus diesem Grund stehen Unternehmen vor der Aufgabe, sich intensiv mit den lokalen Anforderungen und Voraussetzungen auseinanderzusetzen. Dies kann auch bedeuten, dass sich die Zielgruppe in China deutlich von der unterscheidet, die ein Unternehmen für den westlichen Markt identifiziert hat. Dabei sind die Markteintrittskosten erst einmal höher als etwa bei einem neuen Land in Europa. Die Potenziale, die sich jedoch einerseits für das Unternehmenswachstum allgemein und die Reputation der Marke andererseits ergeben, wiegen dies jedoch auf und machen den Schritt nach China für KMU zu einem attraktiven Ziel in der Firmenentwicklung.