Das Nationale Kompetenznetzwerk im Bereich Gebäudetechnik und Erneuerbare Energien (brenet) ist der Zusammenschluss von 14 Schweizer Forschungsinstituten, die sich der Förderung des nachhaltigen Bauens verschrieben haben. Das diesjährige brenet-Status-Seminar an der ETH Zürich begann am 8. September mit einer Reverenz an die bevorstehende Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels. Michele Arnaboldi, Architekturprofessor an der Universität der italienischen Schweiz, sprach im Eröffnungsreferat über die städtebauliche Entwicklung entlang der Neat-Strecke zwischen Biasca und Chiasso. Die neue Transitachse verkürzt die Reisezeiten und stellt das Tessin durch die erleichterte Erreichbarkeit vor neue Herausforderungen. Nach der Einschätzung Arnaboldis wachsen die die Täler südlich der Alpen mehr und mehr zu einem städtischen Raum – der «Città Ticino» – zusammen. Aus den Worten des Architekten sprach die Sorge, ob das Tessin diese Entwicklung raumplanerisch in geordnete Bahnen lenken kann. Beispielhaft zeigte er Lösungsvorschläge zum Erhalt von Grünflächen auf. Das Tessin sei nicht zur Zersiedlung verdammt, meinte Arnaboldi: «1000 Industriegebäude stehen im Tessin leer, hier besteht ein erhebliches Potenzial für verdichtetes Bauen.»
Gebäudepark vor einer Jahrhundertaufgabe
Das Jahrhundertprojekt Neat war dann der Bezugspunkt, mit dem Prof. Gerhard Zweifel, Präsident des brenet-Forschungsnetzwerks und Gebäudeexperte der Hochschule Luzern, auf das übergeordnete Thema des zweitägigen brenet-Seminars hinführte. Das Ziel eines nachhaltigen Schweizer Gebäudeparks, wie ihn der Bundesrat in seiner Energiestrategie 2050 postuliert, sei «auch ein Jahrhundertprojekt», betonte Zweifel. Tatsächlich muss der Gebäudebereich einen wesentlichen Beitrag beisteuern, soll die ambitionierte Zielsetzung der Energiestrategie in Erfüllung gehen. Gebäude sind für 42 % des Schweizer Gesamtenergiebedarfs verantwortlich. Die CO2-Emissionen des Gebäudeparks sollen bis 2035 um einen Faktor 3 gegenüber dem Jahr 2000 vermindert werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Energieforschung technische Grundlagen und Handlungsempfehlungen erarbeiten. Genau in diese Richtung arbeitet der Forschungsverbund SCCER Future Energy Efficient Buildings & Districts, an dem Empa, Universität Genf, ETH Zürich und Lausanne, Hochschule Luzern und Fachhochschule Nordwestschweiz beteiligt sind.
Geleitet wird der Verbund von Dr. Peter Richner, stellvertretender Direktor der Empa. Ein Arbeitsschwerpunkt der nächsten vier Jahre wird laut Richner bei dezentralen Energienetzen liegen. Ein zweiter Fokus betreffe die Frage, warum die realen Energieverbrauchswerte bei Gebäuden oft erheblich vom Plansoll abweichen. «Im Zentrum der nächsten vier Jahre unserer Forschung steht der performance gap, seine Ursachen ebenso wie mögliche Gegenstrategien», sagte Richner in Zürich.
Nachhaltigkeit für ganze Areale
Energieverbrauchswerte, die nur auf dem Papier eingehalten werden, soviel versteht sich von selbst, bringen die Schweiz dem Ziel eines nachhaltigen Gebäudeparks nicht näher. Gefragt sind verbindliche Zielmarken in der Planung, die dann im Betrieb nachweislich erreicht und nach Möglichkeit schrittweise optimiert werden. Dazu gibt es seit vier Jahren das Label «2000-Watt-Areal». Die in den frühen 1990er Jahren an der ETH Zürich entwickelte Vision einer 2000-Watt-Gesellschaft orientiert sich am Ziel, den Energieverbrauch pro Person von 6300 Watt (resp. 8.7 t CO2 im Jahr 2005) auf 3500 Watt (resp. 2 t CO2 im Jahr 2050) und auf 2000 Watt (resp. 1 t CO2 als Langfristziele bis ins Jahr 2100) zu reduzieren. Diese Ziele wurden im «2000-
Watt-Areal» für die Planer / Architekten und Betreiber auf Planungsziele – zusammengesetzt aus den beinflussbaren Faktoren Erstellung (graue Energie), Betrieb (Betriebsenergie) und standortinduzierte Mobilität (Mobilitätsenergie) – pro Quadratmeter Energiebezugsfläche umgerechnet.
Mit dem Label werden Areale zertifiziert, die einen gewissen Energieverbrauch und gewisse Treibhausgasemissionen unterschreiten sowie eine Vielzahl von qualitativen Kriterien aus den Bereichen Management, Kommunikation / Kooperation, Ver- und Entsorgung, Gebäude und Mobilität erfüllen. Einer der grossen Vorzüge des Labels, sagt Daniel Kellenberger vom Zürcher Beratungsbüro Intep, sei dessen Flexibilität: «Architekten finden das «2000 Watt-Areal»-Label sehr interessant, da es wenig Vorgaben enthält und damit viel Freiheit in der Umsetzung gibt. Weil sich das Label auf ein ganzes Areal und die verschiedenen Planungsbereiche Erstellung, Betrieb und standortinduzierte Mobilität bezieht, kann das Gesamtziel erreicht werden, indem für die einzelnen Gebäude und Bereiche jeweils die optimalen Massnahmen ergriffen werden.» Mit dem «2000-Watt-Areal»-Label wird die Infrastruktur für ein 2000-Watt-kompatibles Leben bereitgestellt.
2000 Watt-Gesellschaft ist in Griffweite
Das Label bildet nicht nur ambitionierte Planungswerte ab, sondern fordert auch den Tatbeweis im Betrieb. Unterdessen haben die ersten Areale mit «2000 Watt-Areal»-Zertifikat den Betrieb aufgenommen. Eines ist das Hunziker-Areal in Zürich-Leutschenbach mit 13 Häusern und 400 Gewerbe- und Wohneinheiten. Seit Juni 2015 leben und arbeiten hier 1300 Menschen. Gemeinschaftliche Wohnformen und gelebte Nachhaltigkeit sind Programm. Das Bundesamt für Energie hat das Hunziker Areal wegen seinen ambitionierten Energiezielen als Leuchtturmprojekt ausgewählt.
Gut ein Jahr nach dem Bezug liegen die ersten Resultate vor, welche zeigen, in wie weit die Vorgaben des «2000-Watt-Areal-Labels» tatsächlich eingehalten werden. Die Betriebswerte sind mit einem detaillierten Messkonzept erhoben worden. Die Freizeitmobilität wurde – entgegen den Anforderungen des Labels – ebenfalls in die Betrachtung mit einbezogen. «Unsere vorläufigen Messwerte und Umfrageergebnisse zeigen, dass die Bewohner des Hunziker-Areals bei Erstellung und Betrieb der Gebäude sowie der Mobilität (Freizeitmobilität und Alltagsmobilität) schon heute die Zielsetzungen der 2000 Watt-Gesellschaft erfüllen», resümiert Martin Mühlebach (Lemon Consult AG) das Hauptergebnis. Auf dem Areal wird nicht nur der Zielwert für das Jahr 2050 (3500 Watt / Person) eingehalten, wie das «2000-Watt-Areal»-Label fordert, sondern sogar schon der Zielwert für das Jahr 2100 (2000 Watt /Person). Gleichwohl ist damit die Vorgabe der 2000-Watt-Gesellschaft noch nicht erreicht. Denn dafür müsste auch der Energieverbrauch für Lebensbereiche wie Konsum und Ernährung dieser Vorgabe genügen.
Dem performance gap auf der Spur
Ebenso interessant wie das Hauptresultat sind einige Detailerkenntnisse, die Wissenschaftler im Zuge des Messprogramms ermittelt haben. Eine überraschende Erkenntnis betrifft die vier Häuser des Areals, die mit einer Komfortlüftung ausgerüstet sind. Bei ihnen liegt der Heizwärmeverbrauch markant (Faktor 2 und mehr) über den Planungswerten. Woher dieser performance gap rührt, muss die weitere Begleitforschung zeigen. Erfreulich tief – nämlich unter den Planungswerten – ist hingegen der Warmwasserverbrauch. Martin Mühlebach bemerkte im Zuge seines Referats, dass bei diesem kompakten Wohnungsbau die Photovoltaikfläche pro Wohnfläche sehr klein wird. Der Eigenverbrauchsanteil beim Strom liege deshalb je nach Bilanzgrenze bei 90 %. Die Rückspeisung ins Netz werde folglich extrem klein. Batteriespeicher im städtischen Kontext sind für Mühlebach und seine Mitautoren denn auch nur begrenzt sinnvoll. Bei anderen Experten stiess diese Bemerkung am brenet-Seminar teilweise auf Widerspruch. Die Argumentation mit der Eigenversorgung sei nicht zielführend, so der Einwand, das Areal müsse vielmehr als Teil des ganzen Energiesystems verstanden werden, das in der Lage ist, bei Bedarf überschüssigen Strom aus dem Gesamtnetz zwischenzuspeichern. Nur so liessen sich in Zukunft die periodisch schwankenden Produktionsmengen aus Solar- und Windkraftanlagen meistern.
Damit war in Zürich eine der Grundsatzfragen auf dem Tisch, die gegenwärtig unter Fachleuten kontrovers diskutiert wird und viele Forscher umtreibt: Wie viel Eigenversorgung sollen dezentrale Energiesysteme anstreben? Dazu gehört auch die Frage, welche Speichertechnologien eingesetzt werden sollen, um die Eigenversorgung innerhalb des Quartiers oder Areals bis zu einem gewünschten Grad zu ermöglichen.
Grenzen der Eigenversorgung
Genau mit diesen Problemkreisen befassen sich mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, die am Status-Seminar vorgestellt wurden. Eine davon hat David Grosspietsch mit einem Team der ETH Zürich erarbeitet. Die Untersuchung beziffert die Kosten dezentraler Energiesysteme über einen Lebenszyklus von 40 Jahren, die die Eigenversorgung eines Quartiers sicherstellen sollen. Die Forscher erstellten dafür die Simulation eines (fiktiven) Quartiers, das aus drei Einfamilienhäusern, drei Mehrfamilienhäusern und einem kleinen Bürohaus besteht. Ein Hauptergebnis der Untersuchung: Ein auf Eigenversorgung mit Strom und Wärme ausgelegtes Energiesystem für dieses Modellquartier ist – abhängig von den eingesetzten Energieumwandlungs- und Speichertechnologien – zwei- bis viermal teurer als eine heute gängige Energieversorgung. Autarkielösungen, so die Schlussfolgerung der Forscher, rechneten sich heute allenfalls als Nischenlösung für abgelegene Gebiete. Die ETH-Wissenschaftler konnten zudem zeigen, dass in heterogenen Quartieren ein hoher Selbstversorgungsgrad leichter zu erzielen ist: «In Quartieren mit gemischter Nutzung beziehen die Konsumenten Energie zu unterschiedlichen Zeiten, so ergänzen sich die Lasten tendenziell besser», begründet David Grosspietsch.
Forschung und Dialog
Vorträge und Poster-Präsentationen an der Zürcher Tagung beleuchteten Energiesysteme in Arealen und Quartieren aus verschiedenen Perspektiven. Daneben thematisierte des brenet-Status-Seminar eine breite Palette von Forschungsergebnissen zu Gebäudeerneuerungen, Energieeffizienz, Gebäudetechnik /-automation und Baustandards – alles wichtige Grundlagen zur künftigen Modernisierung des Schweizer Gebäudeparks. Das Fazit von Andreas Eckmanns, Gebäudeexperte beim Bundesamt für Energie, das die Tagung zusammen mit der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) finanziell unterstützt hat: «Neben den Forschungsthemen haben auch marktnahe Themen ihren Platz. Hierzu wurde insbesondere der performance gap breit diskutiert. Diese Mischung an strategischen und praktischen Themen macht nicht zuletzt das Alleinstellungsmerkmal des Status-Seminars aus.»
Informationen zum brenet-Statusseminar und zum Kompetenznetzwerk brenet unter: www.brenet.ch
Auskünfte zum Thema nachhaltiges Bauen von Seiten BFE erteilen: Andreas Eckmanns ([email protected]), Leiter des BFE-Forschungsbereichs Gebäude, Solarthermie und Wärmespeicher, sowie Rolf Moser ([email protected]), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Gebäude und Städte.
Weitere Informationen zum Zertifikat «2000-Watt-Areal»: www.2000watt.ch/fuer-areale/2000-watt-areale
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Gebäude und Städte finden Sie unter www.bfe.admin.ch/CT/gebaeude