Früher oder später braucht sie jede und jeder: die berufliche vorsorge. schliesslich möchte man ja etwas auf der hohen Kante haben, wenn man in Pension geht. Welche massnahmen müssten ergriffen werden, um die renten stabil zu halten?
Die berufliche Vorsorge leidet unter niedrigen Zinsen (rund 30 Prozent der Anlagen sind in Obligationen zu durchschnittlichen null Prozent angelegt), der demografischen Entwicklung (wir werden immer noch älter) sowie der Überregulierung und dem Reformstau. Ihre ursprüngliche Idee, dass jeder Versicherte für sich sein Altersguthaben aufbaut, entspricht leider nicht mehr zu 100 Prozent der Realität. In dieser Konsequenz haben viele Pensionskassen gehandelt und nicht auf die Politik gewartet, was dazu geführt hat, dass die Umwandlungsätze in den letzten fünf Jahren umhüllend auf unter sechs Prozent abgesenkt wurden, aber nur bei den Kassen, die mehr als die gesetzliche Versicherung (beim BVGObligatorium liegt der Umwandlungssatz bei 6.8 Prozent) anbieten.
Die Schweiz wird im Ausland für vieles bewundert – dazu zählt traditionell auch ihr Altersvorsorgesystem. Mit den drei Säulen AHV, BVG und private Vorsorge gilt das Schweizervolk als gut abgesichert gegen die Risiken Alter, Tod und Invalidität. Doch der Lack am Schweizer Drei-SäulenSystem hat einige Kratzer bekommen. In der internationalen Rangliste der Altersvorsorgesysteme, welche die Beratungsgesellschaft Mercer führt, ist die Schweiz – einst ganz vorne dabei – im vergangenen Jahr auf Platz 11 von 34 Ländern abgerutscht. Die Juroren rügten den Reformstau des hiesigen Systems.
Umverteilung gewünscht?
Eine Umverteilung von Jung zu Alt ist bei der AHV bekannt und auch gewünscht, aber nicht in der beruflichen Vorsorge. Konkret ist eine Solidarität zwischen den aktiven Versicherten im Rahmen des Risikoausgleichs zugunsten von Invaliden- und Hinterlassenenrenten im System verankert, aber ganz bestimmt nicht im An- und Entsparprozess der zweiten Säule. Sie stellt deren Grundidee, dass jeder für sich selbst spart, mehr und mehr auf die Probe. Man bedenke, dass sich das Verhältnis der Anzahl Erwerbstätigen (und somit Prämienzahler) pro Altersrentner von 3.5 noch 2014 bis 2035 auf 2.3 reduzieren wird. Im gleichen Zeitraum wird sich die Zahl der Rentner von 1.5 auf 2.7 Millionen fast verdoppelt. Von der möglichen für die Schweizer Wirtschaft wichtigen Migration haben wir noch nicht gesprochen, aber werden die Jungen künftig bereit sein, diesen Generationenvertrag einzuhalten?
Haben 2018 die meisten Pensionskassen noch Verluste bei ihren Vermögensanlagen verbucht, so kam per Ende 2019 bereits die positive Wende dank der guten Börsenlage. Das Ziel der Verantwortlichen aber ist und bleibt die Stabilisierung des Deckungsgrads und der Adjustierung der künftigen Zinsverpflichtung im Einklang mit der möglichen zu erwarteten Rendite gemäss der gewählten Anlagestrategie. Die damit verbundene Senkung des technischen Zinssatzes bedeutet keine Schlechterstellung der Rentner – im Gegenteil: Das versicherungstechnische Deckungskapital wird aufgestockt und entlastet so die aktiven Versicherten in Zukunft. Damit können unnötige Anlagerisiken vermieden werden. Aber genau hier liegt das aktuelle Problem. Auf den risikolosen Anlagen gibt es keine attraktiven Renditen zu erwirtschaften – nicht einmal den BVG-Minimalzins von zurzeit einem Prozent. Es sei daran erinnert, dass die im gesetzlichen Umwandlungssatz von 6.8 Prozent eingerechnete Rendite bei gegen fünf Prozent liegt. Das ist fernab der heutigen Realitäten.
überholte Ideen
Neben den ultraniedrigen Zinsen und der demografischen Entwicklung erschweren systemfremde Elemente, die Einzug in die kapitalgedeckte berufliche Vorsorge gehalten haben, die Stabilität der zweiten Säule. Sie stellen deren Grundidee, dass jeder für sich selbst spart, mehr und mehr auf die Probe. Die in der zweiten Säule unerwünschte Umverteilung von den aktiven Versicherten hin zu den Rentnern erreichte laut dem Bericht der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV vom 14. Mai 2019 im Jahr 2018 einen Umfang von 5.1 Milliarden Franken. Das sei – so die OAK BV – «somit substanziell».
Verantwortlich dafür ist und bleibt das aktuelle Leistungsversprechen in Form des zu hohen BVG-Umwandlungssatz von 6.8 Prozent. Ist er zu hoch, bedeutet dies, dass die künftigen Rentenverpflichtungen nicht ausreichend finanziert sind und zulasten der noch jüngeren Beitragszahler ausfinanziert werden müssen. Eine Kürzung beziehungsweise Anpassung der laufenden Renten nach unten ist heute gesetzlich nicht möglich.
Bei umhüllenden Pensionskassen – also Vorsorgeeinrichtungen, die mehr als die gesetzlichen BVG-Minimalleistungen versichern – ist zudem eine zweite Ebene der Umverteilung zu beobachten. Sie setzen die Umwandlungssätze für den überobligatorischen Bereich oft besonders niedrig an, um den zu hohen BVG-Mindestumwandlungssatz zu kompensieren. Das Überobligatorium macht für viele Versicherte den grossen Teil der beruflichen Vorsorge aus. Das Beratungsunternehmen c-alm schätzt, dass 80 Prozent des gesamten Altersguthabens im Überobligatorium liegen. Keine dieser Umverteilungen ist vom Gesetz über die berufliche Vorsorge BVG vorgesehen – schliesslich wird bereits in der AHV umverteilt. Dass die berufliche Vorsorge zu stark von der Politik vereinnahmt wird, zeigt sich auch beim BVG-Mindestzins, der wie der BVG-Mindestumwandlungssatz politisch festgelegt wird. Sollte es uns beziehungsweise der Politik nicht gelingen, hier rasch Abhilfe zu schaffen und die Parameter der aktuellen Lage anzupassen, dürfte sich die Situation noch weiter massiv verschärfen. Die Idee der zweiten Säule würde untergraben und nachhaltig beschädigt. Wollen wir das?