Eine aktuelle Commerzbank-Studie belegt, dass trotz der Pandemie Nachhaltigkeit das entscheidende Thema für Schweizer Unternehmen wird. Wie so häufig bei gesellschaftlichen Wandlungsprozessen gibt es einige Early Birds auf der einen und Nachzügler auf der anderen Seite. Die Tendenz ist aber eindeutig.
Der vergangene Sommer präsentierte deutliche Signale des Klimawandels. Die Waldbrände in Sibirien, Kalifornien, Algerien, Griechenland und der Türkei, Hochwasser in Deutschland, Indien und China flimmerten über die Screens. Es sind nicht die einzelnen Feuer im Mittelmeerraum, die gibt es dort schon seit Jahrhunderten, sondern die steigende Massivität und die immer schnelleren Zyklen, die die letzten Skeptiker zum Grübeln bringen. Die Klimaerwärmung ist seit den Siebzigerjahren bekannt. Der Club of Rome veröffentlichte 1973 seinen Klassiker «Grenzen des Wachstums» und Hoimar von Ditfurth erklärte den Fernsehzuschauern schon vor 45 Jahren die steigenden Gradzahlen des Weltklimas.
Vor diesem historischen Hintergrund und den Katastrophen der Gegenwart steht die Politik unter Handlungszwang. Die Verantwortlichen betonen durch die Bank die Notwendigkeit, Umwelt- und Klimaschutz zu betreiben. Es bleibt aber meist bei salbungsvollen Sonntagsreden. In der Praxis werden beispielweise regenerative Energien immer noch ausgebremst. Und so verkommt die selbst errichtete Verpflichtung des Klimaschutzabkommens von Paris, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, zur Makulatur.
Greenwashing oder Umdenken
Im Gegensatz zur Politik fangen Unternehmensverantwortliche an zu handeln, wobei auch hier zwei Stossrichtungen zu unterscheiden sind. Die erste Handlungsweise beschäftigt fast nur die Marketingabteilung, bei der zweiten setzt man sich klare Ziele und krempelt seine Wertschöpfungsketten um. Zeichnen wir zunächst eine kurze Skizze beider Handlungsweisen. In einem der besten Marketingfilme der letzten Jahre fliegt eine Kamera über grüne und nebelverhangene Wälder und Kaffeesträucher: Glückliche Menschen pflücken Kaffeebohnen und es fallen die üblichen Stichwörter wie «Nachhaltigkeit». Es ist ein Film für Nespresso und seine bunten Alukapseln. In der Realität sieht die Herausforderung etwas anders aus. Die Alukapseln sind nicht automatisch nachhaltig, nur weil sie jetzt von Kundinnen und Kunden besser recycelt werden können und weil man in glückliche Gesichter blickt. Offensichtlich soll der Kunde in seinem guten Gewissen baden können und die schlechten Botschaften, dass es den Kaffeebauern in Lateinamerika aufgrund des Klimawandels immer schlechter geht, sollen verdrängt werden. Uns allen fallen noch viele weitere Beispiele ein, bei denen es um eine weisse Weste mit grünem Mäntelchen geht. Demgegenüber setzen sich andere Unternehmen klare Ziele und definieren Wegmarken, die schon dieses Jahr beginnen und nicht erst in zehn Jahren, wenn die Verantwortlichen von heute in Rente sind. Ein Beispiel ist die DHL Group. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, ein emissionsfreies Unternehmen zu werden, kommuniziert dahingehend auch eine konkrete Jahreszahl und setzt noch dieses Jahr auf Elektroflugzeuge, die die mittlere Strecke bedienen. Für ein Transport- und Logistikunternehmen ist das eine klare Ansage.
Gamechanger Green New Deal
Und hier kommen die Finanzmärkte, konkreter die Banken, ins Spiel, die ja die neuen grünen Investitionen finanzieren sollen. Die Commerzbank wollte sich zunächst in der Schweiz einen Überblick verschaffen. Die Studie der Commerzbank Schweiz mit dem Titel «Wirtschaft im Umbruch: Die Chancen des Green Deal», die das Marktforschungsunternehmen forsa im Auftrag der Bank erstellt hat, bildet mehrere Befragungszeiträume zwischen März 2020 und Mai 2021 ab. Befragt wurden 140 Unternehmen mit einem Jahresumsatz ab 15 Millionen CHF. Green New Deal ist ein weiters wichtiges Stichwort, da unter dieser Überschrift ähnlich wie in den USA in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts, als die Gesellschaft mit einem Nachfrageprogramm einen wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Aufschwung bekam, nun die ökologische Wende erreicht werden soll. Inzwischen setzen sowohl die EU-Kommission als auch die US-Administration unter Joe Biden auf den Green New Deal.
Konkrete Strategien
Zurück zur Studie. Es überrascht zunächst nicht, dass Nachhaltigkeit das grosse Thema ist, das die Schweizer Unternehmen bewegt – auch die Folgen der Corona-Pandemie ändern nichts daran: 81 Prozent der befragten Unternehmen sehen das Thema als massgeblich für den dauerhaften Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an. Für 86 Prozent ist Nachhaltigkeit notwendig für die Zukunftsfähigkeit. Der Begriff wird dabei nicht nur als Synonym für Klima- und Umweltschutz verwendet – drei Viertel der Befragten verstehen darunter einen Dreiklang aus Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung. Hier gewinnt der eigentlich sinnentleerte Begriff Nachhaltigkeit wieder an Schärfe. Den damit verbundenen Herausforderungen blicken die Unternehmen grundsätzlich optimistisch entgegen: 89 Prozent sehen sich für eine nachhaltige Unternehmensführung gut gerüstet.
Trotz der hohen Relevanz des Themas verfolgen erst rund 54 Prozent der Unternehmen bereits eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie, bei weiteren 24 Prozent ist sie in Planung. Im Vergleich zu Deutschland liegt die Schweiz damit bei der Strategieentwicklung vorne (54 Prozent gegenüber 43 Prozent). Damit bestätigt sich ein altes Muster: Schweizer Unternehmensverantwortliche können mit Herausforderungen eher besser umgehen, da sie Drucksituationen, zum Beispiel in der Hochwährungsphase des Schweizer Franken, durch aktives Handeln besser bewältigen können.
Dabei hat die Pandemie tendenziell wenig Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsstrategien der Schweizer Unternehmen. 68 Prozent halten unverändert daran fest, 16 Prozent bauen die Massnahmen weiter aus. Lediglich weitere 16 Prozent möchten die Umsetzung einzelner Massnahmen auf später verschieben. 27 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sie bereits neue Geschäftsfelder erschlossen und aufgebaut haben. Die Mehrheit (86 Prozent) realisiert dies in Kooperation mit ihren Kunden. 28 Prozent der befragten Unternehmen befinden sich noch auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, vier Prozent planen hingegen keine Veränderungen. «Hier sehen wir durchaus noch etwas Luft nach oben. Unser Ziel ist es deshalb, unsere Kunden mit Blick auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell aus unserer Perspektive als Bankpartner umfassend zu beraten und insbesondere für neue Geschäftsimpulse zu inspirieren», so Marc Steinkat, CEO der Commerzbank Schweiz. Das passt zu dem seit Jahren bestehenden Fokus der Commerzbank Schweiz, Unternehmen bei ihren Aktivitäten in Exportmärkten zu unterstützen. In diesem Rahmen bekommen in den nächsten Jahren ökologische Lösungen sicher Oberwasser.
Kundenbindung stärken
Die Chancen von Nachhaltigkeitsmassnahmen sind in den Augen der meisten Unternehmen stark mit ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit verknüpft. Die deutliche Mehrheit (90 Prozent) sieht hier die Möglichkeit zur Imagepflege und zur Stärkung der sozialen Verantwortung (87 Prozent) weit vorn. Rund drei Viertel der Unternehmen sind sicher, damit auch ihre Arbeitgeberattraktivität und die Kundenbindung zu stärken. Deutlich nachgeordnet sind demgegenüber nicht nur die Erschliessung neuer Geschäftsfelder (58 Prozent), sondern auch andere unternehmerisch wesentliche Faktoren wie Investoren zu gewinnen beziehungsweise zu binden (26 Prozent) oder ein besseres Rating bei der Kreditvergabe zu erzielen (23 Prozent). Gefragt nach den Massnahmen, die bereits umgesetzt werden, nannten die Unternehmen eher klassische effizienzgetriebene Themen, etwa das Recycling, das Einsparen von Verbrauchsmaterialien oder die Optimierung von Arbeitsabläufen. Massnahmen im Bereich Kreislaufwirtschaft setzen heute bereits 43 Prozent der befragten Unternehmen um, in Deutschland sind es erst 33 Prozent. Insgesamt ist die Bereitschaft zu Investitionen hoch: Gut die Hälfte der Unternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren ihre Investitionen in Sachen Nachhaltigkeit verstärkt ausgeweitet.
Die Studie nimmt auch die Hindernisse ins Visier. Auf die Frage, warum Unternehmen bei Nachhaltigkeitsmassnahmen zurückhaltend agieren, nannte mehr als die Hälfte (61 Prozent) die Unsicherheit, wenn es um die Kalkulation von Aufwand und Ertrag geht. 45 Prozent sehen eine generell zu hoher Arbeitsbelastung. Die Bank soll Vorbild sein und nachhaltige Produkte anbieten. Von ihrer Bank erwarten die befragten Unternehmen, dass sie selbst auch nachhaltig arbeitet. In der Krise gibt es weiterhin einen hohen Bedarf an nachhaltigen Finanzierungsprodukten wie Förderkrediten. Gewünscht sind auch nachhaltige Anlagen und Investmentmöglichkeiten sowie Beratungen rund um Nachhaltigkeitsthemen. «Bei diesem Thema sind ganz klar Banken gefragt, deshalb bauen wir unser Angebot an nachhaltigen Lösungen für Investitionen, Finanzierungen sowie Anlagen kontinuierlich aus. Bereits heute haben wir bei vielen Nachhaltigkeitsaspekten eine hohe Expertise, zum Beispiel im Bereich Green Bonds, grüne Finanzierungen oder beim Thema Emissionsrechte», erläutert Steinkat.
Die Wirtschaft steht, und das zeichnet sich immer deutlicher ab, vor einem Umbruch. Der verzahnte Dreiklang Ökonomie, Ökologie und soziale Verantwortung gewinnt an Bedeutung. Allerdings hat, und das bleibt aus der Studie festzuhalten, knapp die Hälfte der Unternehmensverantwortlichen noch keine Strategie. Der zentrale Grund liegt darin, dass Aufwand und Ertrag schwierig zu ermitteln sind. Allerdings gewinnen Faktoren wie gemessene Nachhaltigkeit bei Ausschreibungen immer mehr an Bedeutung. Auch im Export werden Themen wie Effizienz, regenerative Energien und Kreislaufwirtschaft an Bedeutung gewinnen.
Transparenz muss her
Die Frage, wie sich Greenwashing minimieren lässt, ist so aber noch nicht beantwortet. Die Finanzbranche hat hier selbst Verantwortung zu übernehmen, die sie selbst mit dem Thema «Grün bei Ihren Finanzprodukten» zur Sprache bringt. Nun gibt es Institution, die aktiv werden und versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen. Nehmen wir als Beispiel die EU-Kommission.
Sie hat der Finanzbranche eine Offenlegungsverordnung vorgelegt, die am 10. März dieses Jahres in Kraft trat. Seit diesem Zeitpunkt müssen Finanzinstitute regelmässig über die nachhaltigen Aspekte ihrer Produkte informieren, um Anlegern mehr Transparenz zu bieten und Greenwashing zu vermeiden. Es geht dabei um 32 verpflichtende und 18 optionale Indikatoren aus den Bereichen Treibhausgasemissionen, Energieeffizienz, Biodiversität, Wasser, Abfall, Soziales und Mitarbeiter, Menschenrechte sowie Korruption. Die EU-Offenlegungsverordnung schreibt im ersten Schritt vor, dass Anbieter von Finanzprodukten in öffentlich zugänglichen Dokumenten darlegen, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen. Zudem müssen die Anbieter ihre Produkte in eine von drei Schubladen einsortieren: Sie sind entweder konventionell, berücksichtigen ökologische und soziale Kriterien oder streben ein konkretes Nachhaltigkeitsziel an.
Anhand dieser Indikatoren müssen die Verantwortlichen nachweisen, wie Fonds beispielsweise die Nachhaltigkeitsziele erfüllen. Das könnte kompliziert und aufwendig werden. Und es stellen sich Fragen, wie sich Massnahmen zur Erhaltung der Biodiversität oder gegen die Abholzung von Wäldern objektiv und quantitativ messen lassen. Auch an der Datenfront gibt es noch Luft nach oben, da Grosse Unternehmen müssen Research-Kapazitäten aufbauen.. Kleinere Akteure können sie auch als Dienstleistung beziehen. Inzwischen gibt es hier verschiedene Anbieter am Markt. Der Teufel liegt wie so oft im Detail.
Es gibt, um dies zusammenzufassen, noch einiges zu tun, die Notwendigkeit des schnellen Handels steht aber ausser Frage.