Besseres und menschlicheres Katastrophenmanagement durch Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Insurtechs. Das ist die Strategie, die in Zeiten vermehrter Schadenfälle durch extreme Wetter- und Klimaphänomene das Gebot der Stunde ist
Weltweit erleben wir eine enorme Anzahl an wetterbedingten Katastrophen, darunter Erdbeben, Stürme, Überschwemmungen und Hitzewellen. Der Klimawandel setzt immer eindeutigere Zeichen. Im Jahr 2017 betrugen die Kosten für Naturkatastrophen allein in den USA 306 Milliarden Dollar. Das darauffolgende Jahr 2018 war, gemessen an den versicherten Schäden, das viertteuerste Jahr seit 1980. Die Kosten von 306 Milliarden Dollar wurden an Hunderttausende betroffene Familien ausbezahlt, um beschädigte oder komplett zerstörte Häuser wiederaufzubauen – zudem an tausende Gemeinden, die schwere Schäden erlitten hatten. Versicherungsnehmer im Schadenfall zu unterstützen ist die Aufgabe der Versicherungsbranche. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen Versicherer den technologischen Wandel vorantreiben.
Als Reaktion auf solche Katastrophen hat sich die Versicherungswirtschaft mit der Frage beschäftigt, wie man moderne Technologie mit einem menschlichen Servicemodell verbinden kann. Insurtechs sind bestens dafür positioniert, technologische Innovationen für eine wirkungsvolle Reaktion auf Katastrophen voranzutreiben. Die Zusammenarbeit mit traditionellen Versicherern fördert dabei die Effizienz und bietet eine menschliche Komponente im Kundenservice. Gleichzeitig haben Versicherungsmitarbeiter mehr Zeit für Aufgaben, die Empathie und persönlichen Kundenkontakt erfordern.
Herausforderungen der Branche
Versicherer stehen bei der Bewältigung von Naturkatastrophen vor drei grossen Herausforderungen:
1. Technologie optimiert und vereinfacht zwar die Schadenbearbeitung, aber bei einer Naturkatastrophe kann es zu Stromausfällen und Störungen der Internetdienste kommen, sodass moderne Technologien nicht mehr eingesetzt werden können.
2. Die Menge an Schadenmeldungen im Katastrophenfall mit bis zu mehreren Zehntausend Meldungen pro Tag überfordert Versicherer nach wie vor.
3. Die Prüfung, welche Versicherungsnehmer in welchem Masse betroffen sind und welche Deckungssummen ihnen zustehen, muss schnell und effizient erfolgen.
Dabei ist es für Versicherer besonders wichtig, festzulegen, wie Risiken entschärft werden können, denn meist steigt die Schadenhöhe im Anschluss an die eingetretene Naturkatastrophe noch weiter an. Je schneller reagiert wird, um den Schaden zu begrenzen, beispielsweise durch den Bau von Dämmen oder die Reparatur von abgedeckten Dächern, desto kleiner ist die Auswirkung und desto geringer wird letzten Endes die Gesamtschadensumme. Innovative Lösungen von Insurtechs können in solchen Fällen den Service von Versicherern bereichern und die Bearbeitung des gesamten Schadenzyklus optimieren.
Chatbots und Drohnen
Drohnen werden von Insurtechs im Katastrophenfall dazu eingesetzt, um grössere Schäden aus sicherem Abstand von oben zu begutachten und Schäden an schwer zugänglichen Orten zu inspizieren. Für Versicherer ist es aus Kostengründen nicht wirtschaftlich, eigene Drohnenpiloten zu beschäftigen. WeGoLook, ein Unterneh
men, das weltweit circa 45‘000 sogenannte «Lookers» on-demand beschäftigt, ist auf die Datenerfassung sowie die Durchführung von Überprüfungen im Ausseneinsatz spezialisiert. Unter anderem beschäftigt WeGoLook auch Drohnenpiloten, die in Notfallsituationen beauftragt werden können. So bietet das Unternehmen Versicherern die Möglichkeit, eine Belegschaft auf Abruf zu schaffen, die aus Profis in ihrem jeweiligen Gebiet besteht. Manche Versicherer lehnen den Einsatz von Fremdressourcen aber nach wie vor ab, da sie fürchten, die Kontrolle über den gelieferten Servicelevel zu verlieren. Zudem befürchten sie, dass im Katastrophenfall die Ressourcen von Drittanbietern nicht für alle interessierten Versicherer ausreichen würden.
Chatbots, die über Apps wie beispielsweise den Facebook Messenger kommunizieren und schneller erreichbar sind als ein Mitarbeiter im Callcenter, sind im Katastrophenfall ebenfalls ein hilfreiches Tool. Geführte Chatbots übernehmen Schadenerstmeldungen oder FAQ-Prozesse und ermöglichen Versicherungsnehmern, Schadenmeldungen innerhalb von Minuten einzureichen oder dringende Fragen zu klären – wie zum Beispiel welche Möglichkeiten es gibt, Fenster vor Sturmschäden zu schützen oder wie mit rauchbeschädigtem Eigentum zu verfahren ist. Chatbots können das Call Center aber nicht komplett ersetzen. Es gibt immer Kunden, die lieber mit einem Kundenservicemitarbeiter am Telefon sprechen möchten. Trotzdem sind Chatbots nutzerfreundliche, vertraute Tools, die sofort einige Antworten geben können, und somit beruhigend auf die Kunden wirken. So können Geschädigte in einer Notfall- und Ausnahmesituation schnell mit ihrem Versicherer in Kontakt treten. Chatbots geben Kunden ausserdem die Möglichkeit, die Form der Kontaktaufnahme selbst zu wählen. Viele Versicherer erwägen, ihren Kunden Chatbots als Option anzubieten. Diese haben dann die Möglichkeit, statt für eine längere Zeit in der Warteschleife des Call Centers warten zu müssen, einen geführten Chatbot auf der Website des Versicherers in Anspruch zu nehmen.
Gewinn bringend einsetzen
Das Unternehmen Betterview bietet Versicherern satellitengesteuert und von Luftbild- und Vermessungstechnikern gewonnenes hochauflösendes Material. Dieses ermöglicht genaueres Underwriting sowie eine effektivere Schadenbearbeitung. Bei zurückliegenden Naturkatastrophen, wie beispielsweise Hurricane Michael oder Vulkanausbrüchen auf Hawaii konnten anhand so gesammelter Bild- und Analysedaten besonders stark beeinträchtigte Gebäude identifiziert werden. In einigen Fällen können Versicherer Schadenmeldungen anhand hochauflösender Bilder direkt bearbeiten. Ausserdem können eventuell auftretende Risiken identifiziert werden, bevor diese zu tatsächlichen Schäden führen. Zum Beispiel können gefährdete Regionen, in denen eine hohe Waldbrandgefahr besteht, schon im Vorfeld eines Brandes per Satellit oder aus der Luft ausfindig gemacht werden.
Kespry ist ein weiteres innovatives Insurtech das sowohl Schadenregulierern als auch Dachdeckern die Möglichkeit bietet, ein Dach anhand des Kespry-Drohnensystems schnell und sicher zu untersuchen. Hierfür sind keinerlei Kenntnisse im Umgang mit Joysticks oder gar Flugerfahrung notwendig. Das Unternehmen bietet die erforderliche Soft- und Hardware, anhand derer der Schadenregulierer das Gebäude von sicherem Boden aus anhand eines Tablets inspizieren kann.
Ein darüber hinaus nennenswertes Insurtech ist Livegenic. Das Unternehmen stellt Schadenregulierern Fotos, Videos sowie eine Einschätzung des zu erwartenden Verlusts zur Verfügung, sodass diese schnellstmöglich mit der Schadenbearbeitung beginnen können. Die Daten werden hierbei von Versicherungskunden oder Sachverständigen gesammelt. Da es im Katastrophenfall häufig zu Verbindungsproblemen kommt, ist es möglich,
diese im Offline-Modus zu sammeln und erst dann zu synchronisieren, wenn wieder eine stabile Verbindung besteht.
Um sicherzustellen, dass Geschädigten die korrekte Schadenhöhe ausbezahlt wird, können Versicherer Lösungen von Insurtechs wie FRISS und Shift Technology einsetzen. Diese bieten Betrugserkennungssysteme, basierend auf Predictive Analytics. Dies kann sowohl bei der ersten Datenerhebung als auch im weiteren Verlauf des Schadenzyklus erfolgen, wenn neue Erkenntnisse gewonnen werden.
Innovation fördern
Insurtechs bieten Verfahren und Mittel, um Versicherungsnehmer im Schadenfall zu unterstützen, sind aber gleichzeitig nur wenig spezifisch. Lösungen werden für verschiedene, eher theoretische Use-Cases entwickelt, anstatt für realitätsnahe Szenarien. Traditionelle Versicherer kennen ihre Kunden und die Branche besser, können aber mit der Innovationsgeschwindigkeit von Startups nicht mithalten.
Durch Kooperation können Versicherer und Insurtechs bedarfsgerechte, innovative Lösungen entwickeln, die die Effizienz im Versicherungslebenszyklus erhöhen und den Kundenservice verbessern. Aufgrund der extrem hohen Schäden durch Naturkatastrophen, die wetterbedingt auch weiterhin steigen werden, sollten sich Versicherer die Stärken von Insurtech zu Nutze machen. So können Versicherungsmitarbeiter die Versprechen, die sie in Form von Versicherungspolicen verkauft haben, besser erfüllen.